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Re: aufs Tempo drücken

Autor:Karla Krauschen
Datum: Di, 19.08.2014, 23:24
Antwort auf: Re: aufs Tempo drücken (Thomas Flück)

Wer wird denn Redensarten beim Wort nehmen?

So gut, wie man Gästen eine 'Erfrischung' auf den Tisch stellen kann, statt ihnen ein kühles Getränk 'zur Erfrischung' auf den Tisch zu stellen, so gut kann man aufs Tempo drücken, statt zur Temposteigerung aufs Gaspedal zu drücken. (Worauf drückt man eigentlich, wenn man auf die Tube drückt?)

"Er hat ein Auge auf sie geworfen."
"Wessen?"
"Sein eigenes."
"War's ein Glasauge? Traf es sie am Kopf?"
"Nein."
"Na, dann wird's wohl glimpflich ausgegangen sein."

"Aufs Tempo drücken" und "ein Auge werfen" sind zwei unterschiedliche Beispiele; beim einen steht Wirkung (Temposteigerung) für das Werkzeug (Gaspedal), beim zweiten steht das Organ Auge für die Handlung (den Blick). Wörtlich genommen, sind beide Unsinn, aber jeder versteht sie richtig. Sprache besteht aus so vielen Bildern, Metonymien, Bedeutungsverrutschern und Verkürzungen, daß man gar nicht mehr sprechen könnte, wenn man anfinge, sie alle beim Wort zu nehmen. Nicht einmal einen Blick könnte man dann noch werfen -- erstens weil man einen Blick nicht in die Hand nehmen kann, um damit zu schmeißen, und zweitens weil aus dem Auge nichts herauskommt, sondern Licht hineinkommt. Aufs Gemüt oder auf die Stimmung könnte man auch nicht mehr drücken, denn wo sollte man bei der Stimmung drücken? Sollte man da was runterdrücken, seitlich zusammendrücken oder hat sie einen Dämpfknopf, auf den man drücken könnte? Heben oder senken könnte man sie auch nicht mehr bzw. bräuchte man nicht, denn sie ist ja eh schwerelos und schwebt nur herum.

Obendrein bedeuten Wörter in bestimmten Wendungen das Gegenteil von dem, was sie in anderen bedeuten: Wer aufs Tempo drückt, steigert das Tempo; wer auf die Stimmung drückt, dämpft die Stimmung.

Und zu allem Überfluß tragen einige ihr Attribut versteckt mit sich, wenn man ihnen nicht ein anderes hinzufügt: Wo man die Stimmung hebt, hebt man die gute Stimmung, nicht die schlechte, obwohl das Wort 'Stimmung' über gut oder schlecht eigentlich nichts sagt. Und wo man aufs Tempo drückt, meint man Beschleunigung, obwohl das Wort 'Tempo' über schnell oder langsam auch nichts sagt. Jedenfalls kann man einerseits das Wort 'Tempo' als Bezeichnung für hohe Geschwindigkeit benutzen, andererseits davon sprechen, daß jemand etwas in sehr behäbigem Tempo tut.

Wollte man an all diesen Undeutlichkeiten, Ungenauigkeiten, allzu dehnbaren Wortbedeutungen herummäkeln, man käme zu keinem Ende und müßte verstummen, weil die Sprache anscheinend nicht geeignet ist, etwas präzise und unmißverständlich mitzuteilen. Da wir uns im Alltag trotzdem zu verständigen wissen und da niemand, der die Redewendung kennt, sie mißversteht, dürfen wir getrost weiterhin 'aufs Tempo drücken', ohne daß 'n ganz Schlauer uns damit belästigen müßte, daß wir das eigentlich gar nicht verstehen können, weil es falsch, falsch, falsch sei.

 

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