korrekturen.de | Korrektorat und Lektorat

Rechtschreibforum

Bei Fragen zur deutschen Rechtschreibung, nach Duden richtigen Schreibweise, zu Grammatik oder Kommasetzung, Bedeutung oder Synonymen sind Sie hier richtig. Bevor Sie eine Frage stellen, nutzen Sie bitte die Suchfunktionen.

Re: von erlerntem schulischen Wissen

Autor:Bedenkentraeger
Datum: Mo, 06.10.2014, 19:52
Antwort auf: von erlerntem schulischen Wissen (karelia)

> Bitte nicht lachen

> "Die fachlichen Lernvoraussetzungen für diese Stunde bringen die Kandidaten
> in Form von bisher erlerntem schulischen Wissen mit."
> oder
> "Die fachlichen Lernvoraussetzungen für diese Stunde bringen die Kandidaten
> in Form von bisher erlernten schulischem Wissen mit."

> Die Word-Rechtschreibprüfung akzeptiert nur das zweite Beispiel.
> Ich hingegen meine, das das erste Beispiel richtig ist.

Hallo Karelia,

das Rechtschreibproblem ist wohl eher ein grammatisches, zum Lachen gibt es vermutlich keinen Anlass, jedoch ist nicht auszuschließen, dass ein paar Tränen fließen werden.

Ich bekräftige deine Meinung, „dass das erste Beispiel richtig ist“:

von bisher erlerntem schulischen Wissen

Die deiner Aussage nach von der Word-Rechtschreibprüfung akzeptierte Formulierung „von bisher *erlernten schulischem Wissen“ scheint mir ungrammatisch, nicht akzeptabel.

Und wenn ich an dieser Stelle aufhören könnte, wäre sicher alles gut. Da du aber nach einer Begründung fragst, wird es wohl böse enden.

Die Präposition von steht mit dem Dativ. Wissen ist Neutrum Singular. Die entsprechenden Adjektivendungen lauten also:

-em bei starker Beugung,
-en bei schwacher Beugung.

Welche Endung jeweils benutzt wird, hängt also davon ab, ob das Adjektiv stark oder schwach gebeugt wird. Dies wiederum hängt nun von mehreren Umständen ab. Zunächst gilt erst einmal Folgendes:
Wenn dem Adjektiv ein Artikelwort mit Flexionsendung vorangeht, wird das Adjektiv schwach flektiert, sonst stark (Grammatik09, S. 363).

Im Beispiel gibt es kein solches Artikelwort. Es wird also erst einmal stark gebeugt. Aber:
In einer Abfolge mehrerer starker attributiver Adjektive kann [im Dativ Singular] vom zweiten Adjektiv an die Endung -en stehen (Grammatik09, S. 959).

Da dort kann steht, sehen wir uns noch ein bisschen um, ob es eventuell ein Kriterium gibt, und werden in Richtiges und gutes Deutsch fündig:
Als Grundregel gilt hier: Bildet das zweite Adjektiv mit dem Substantiv eine Bedeutungseinheit, die als Ganzes vom ersten Adjektiv modifiziert wird, dann tritt Wechelflexion [das zweite wird schwach gebeugt] ein (Richtig&gut11, S. 41).

In diesem Zusammenhang sollte nicht unerwähnt bleiben, dass diese Regel schon dreizehn Jahre vorher als frühere Regel, als nicht mehr geltende Regel bezeichnet wurde:
Selbst wenn das unmittelbar vor dem Substantiv stehende Adjektiv mit dem Substantiv einen Gesamtbegriff bildet (so genannte Einschließung), werden die Adjektive parallel [also beide stark] gebeugt. Die frühere Regel, dass in diesem Falle beim Dativ Singular […] das zweite der artikellosen Adjektive nach Typ II (schwach) gebeugt wird, gilt nicht mehr. (Grammatik98, S. 292)

Man kann also nur annehmen, dass diese Regel nach 1998 irgendwann wieder anfing zu gelten. Aber schauen wir noch einmal in die Grammatik von 2011. Der nach dem oben zitierten folgende Satz lautet:
Parallelflexion (also überall die Endung -em) wird in der Standardsprache allerdings vorgezogen (Grammatik09, S. 959).

Sollten wir also doch besser „von erlerntem schulischem Wissen“ schreiben? Es hilft nichts, wir müssen weiterlesen, aber es wird uns sicher nicht bekommen.
Sind beide Adjektive dem Substantiv gegenüber nebengeordnet, tritt in der Regel Parallelflexion ein (nach langem heftigem Streit, mit hellem hartem Licht). (Richtig&gut11, S. 41)

In der Sache ist das zwar vorerst nicht verwunderlich, aber hier fällt doch auf, dass zwischen den explizit als nebengeordnet bezeichneten Adjektiven keine Kommas stehen. Ja, nun sind wir doch bei der Rechtschreibung gelandet. Wenn wir also in den Rechtschreibregeln (§ 71) nachlesen, finden wir, dass zwischen „gleichrangige (nebengeordnete)“ Wörter Kommas gesetzt werden. Man könnte nun vermuten, dass die Kommas in den obigen Beispielsätzen vergessen wurden. Aber es scheint doch fragwürdige Absicht zu sein. Es folgt nämlich bald:
Selbstverständlich kann der Schreiber das Mittel der Parallel- und der Wechselflexion bewusst einsetzen, um Neben- bzw. Unterordnung der Adjektive zu signalisieren (ebd.).

Sollte denn zu diesem Zweck wirklich nicht mehr die Kommasetzung dienen? Nein:
Ein Komma zwischen den Adjektiven kann sowohl bei Parallel- wie auch bei Wechselflexion gesetzt werden (nach langem, heftigem Streit; nach langem, heftigen Streit) (ebd.).

Soll der Leser das tatsächlich glauben? In der Formulierung „nach langem, heftigen Streit“ soll die Wechelflexion Unterordnung der Adjektive signalisieren und das Komma steht dort dennoch?

Schauen wir noch einmal in die Grammatik von 2009. Einen Hinweis darauf, dass mit unterschiedlichen Flexionen Neben- oder Unterordnung signalisiert werden kann, finden wir dort nicht. Aber es gibt dennoch einige Beispiele, einige, in denen ab dem zweiten Adjektive die Endung -en steht:

Er verstarb nach langem schweren Leiden. Das ist eine Truhe aus hartem dunkelbraunen tropischen Holz (Grammatik09, S. 959).

Ebenso auch einige, in denen „standardsprachlich“, wie es oben genannt wurde, immer die Endung -em steht:
Er verstarb nach langem schwerem Leiden. Das ist eine Truhe aus hartem dunkelbraunem tropischem Holz (ebd.).

Wie gesagt, ein expliziter Hinweis auf Unter- oder Nebenordnung in Abhängigkeit von der Flexion findet sich hier nicht. Ein Komma zwischen den Adjektiven findet sich allerdings auch nicht. Wenn man dies mit Blick auf die Rechtschreibregeln interpretiert, ist in der „Truhe aus hartem dunkelbraunem tropischem Holz“ gar eine rekursive Unterordnung enthalten. Wenn man es jedoch nach den Ausführungen in Richtiges und gutes Deutsch interpretiert, sind alle drei Adjektive nebengeordnet.

Zumindest sollte bis zu dieser Stelle deutlich geworden sein: Wenn wir die Sache mit dem Duden klären wollen, müssen wir früher oder später weinen.

Ich empfehle daher für Adjektive, die einem Adjektiv folgen:
Das untergeordnete Adjektiv wird schwach gebeugt und vor ihm steht kein Komma.
Das nebengeordnete Adjektiv wird stark gebeugt und vor ihm steht ein Komma.

Viele Grüße vom
Bedenkenträger

Quellen:
Grammatik09: Die Grammatik, Dudenverlag, 8. Auflage, Mannheim 2009
Grammatik98: Die Grammatik, Dudenverlag, 6. Auflage, Mannheim 1998
Richtig&gut11: Richtiges und gutes Deutsch, Dudenverlag, 7. Auflage, Mannheim 2011

 

antworten


Beiträge zu diesem Thema

von erlerntem schulischen Wissen
karelia -- Mo, 6.10.2014, 13:54
Re: von erlerntem schulischen Wissen
Bedenkentraeger -- Mo, 6.10.2014, 19:52
Re: von erlerntem schulischen Wissen
Karla Krauschen -- Di, 7.10.2014, 00:05
Re: von erlerntem schulischen Wissen
Julian von Heyl -- Di, 7.10.2014, 00:48
Re: von erlerntem schulischen Wissen
Jaram -- Di, 7.10.2014, 16:00