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Re: Hauptsatz - Nebensatz

Autor:Ruwen
Datum: Mi, 17.02.2016, 23:46
Antwort auf: Re: Hauptsatz - Nebensatz (Julian von Heyl)

Das war geplant – leider schaffe ich es erst jetzt.

Es ist nicht falsch, in Satzgefügen mit Temporalsätzen auf den Wechsel der Zeitform zu verzichten; dies auch unabhängig von der Verweisrichtung der gewählten Konjunktion, hier der Subjunktion nachdem. Ob das sinnvoll sein kann, hängt von der gewünschten Aussage und der Perspektive ab. Man kann durch den Verzicht auf den Wechsel der Zeitform Satzgefügen absichtlich eine andere Bedeutung oder Nuance geben. Eine generelle Beschränkung sehe ich nicht und eine solche Regel besteht im Deutschen nicht. Spannende und gehaltvolle Abhandlungen (nicht scherzhaft gemeint) gibt es zu diesem Thema viele.

Als Beispiel zuerst ein Gefüge, in dem der Temporalsatz ein nachzeitiges Geschehen beschreibt. Hier muss in vielen Fällen dessen Zeitform der des Hauptsatzes entsprechen können:

Kevin trinkt Kaffee, bevor er raucht.

Das ergibt sich, da man den Schreibenden nicht darin beschränken kann, welche Zeitform er für den Hauptsatz wählt – und ein Wechsel dann, je nach gewählter Zeitform, nicht möglich ist bzw. er die Aussage der Sätze aus der eingenommenen Perspektive verändert. Aus dem Beispiel oben würde:

Kevin hat Kaffee getrunken, bevor er raucht.

Durch den Wechsel ändert sich die gewünschte Aussage. Ich sehe nun keinen Grund, warum diese Wahlmöglichkeit alleine von der Einordnung der Sätze oder von deren Stellung abhängig sein sollte. Temporale Subjunktionen können in beide Richtungen verweisen und es ist somit erst mal beliebig, welchem Satz sie zugehören und welcher Satz eines Gefüges der Haupt- und welcher der Nebensatz ist. Der Temporalsatz, den nachdem einleitet, ist ein eigenständiger Satz, der erst durch die Subjunktion eine Abhängigkeit eingeht.

Ein Beispiel im Präsens mit und ohne Zeitformwechsel:

Kevin raucht, nachdem er Kaffee trinkt.
Kevin raucht, nachdem er Kaffee getrunken hat.

Diese Satzgefüge sind nicht gleichbedeutend. Der Nebensatz im Perfekt hat einen anderen Gegenwartsbezug, ich nenne das mal eine hypothetische Komponente. Konkret ist nur das durch die Konjunktion bestimmte Verhältnis. Man wählt für den Nebensatz bewusst Präsens, um die Bezugsebene zu kennzeichnen, die sich beide Sätze teilen. Ein zwingender Wechsel der Zeitform (zum Perfekt) würde einen dieser Möglichkeit berauben.

Etwa bei der Beschreibung eines verallgemeinerten Zusammenhangs kann es aus meiner Sicht somit durchaus sinnvoll sein, auf einen Zeitformwechsel zu verzichten bzw. der Subjunktion alleinig die Funktion der Verhältniszuweisung zu übertragen. Die zeitliche Komponente der Abfolge kann nachdem schon alleine markieren. Das gilt auch für andere Konstellationen, etwa wenn ein Ereignis fortdauert, nachdem ein temporales und kausales Verhältnis ausdrückt oder, je nach Perspektive, auch wenn eine Abfolge konkreter in Bezug genommen wird. Das ursprüngliche Beispiel (Präteritum):

Kevin rauchte, nachdem er Kaffee trank.

Wenn ich als Zeitform des Nebensatzes aus der eingenommenen Perspektive Perfekt vorsehe, muss sie sich mit der des Hauptsatzes decken können. Wechselt man die Zeitform, schafft man eine zusätzliche Ebene, die je nach gewünschter Aussage das Satzgefüge verändert bzw. einem verbietet, für den Temporalsatz die gewünschte Zeitform zu verwenden (etwa wenn man ihn voranstellt). Man kann Zeitformen, je nach Bezug und Perspektive, wohl unstrittig verschiedene Bedeutungen zuweisen. Und nur weil nachdem einem Satz vorangeht, ist man aus meiner Sicht nicht daran gehindert, dessen Zeitform zu bestimmen. Die Verwendung von nachdem kann keinen Zeitformwechsel erzwingen, wenn die Verwendung gleicher Zeitformen nicht an sich falsch ist.

Es geht, abhängig vom Beispiel, manchmal um Nuancen und alles spielt sich jenseits von Schulbuchbeispielen ab – aber der zitierte Satz ist nicht falsch.

Zum Hintergrund: Ich lehne es ab, wenn grammatisch Mögliches pauschal als falsch bezeichnet wird, „weil das so ist“. Ich nenne das Sick-Effekt, da oft nicht das Sprachgefühl und fundierte Einsichten der Hintergrund sind – sondern nur ein platter Verweis auf eine vermeintliche Unrichtigkeit platziert wird. Es gibt aus gutem Grund im Deutschen keine festen Zeitfolgen und das ist keine neue Entwicklung zum Vorteil einer steigenden Fehlertoleranz. Das Gegenteil ist der Fall: Das Tempussystem ist und war schon immer ein fragiles Gebilde. Seine Möglichkeiten stehen und fallen mit dem Vermögen (und Anspruch) des Sprechers, formalistische Präzision darf sich schon jenseits von Schulbuchbeispielen verabschieden.

Viele Grüße
Ruwen

 

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