korrekturen.de | Portal für Rechtschreibung

Kurz erklärt

extrovertiert oder extravertiert?

Ist jemand nach innen gekehrt, nennt man ihn introvertiert, während nach außen gewandte, offene Menschen als extrovertiert bezeichnet werden. Oder doch extravertiert?

Bei den beiden Begriffen introvertiert und extravertiert handelt es sich um Adjektivbildungen zum Begriffspaar Introversion und Extraversion (zur Schreibweise siehe hier), welches vom Schweizer Psychologen Carl Gustav Jung (1875–1961), dem Begründer der analytischen Psychologie, geprägt wurde. C. G. Jung bezeichnete damit zwei Pole einer Persönlichkeitseigenschaft. Während introvertierte Menschen mehr dazu neigen, scheu und und verschlossen zu sein, in sich gekehrt sind, treten extravertierte Persönlichkeiten tendenziell eher dynamisch, aktiv und enthusiastisch auf, lassen sich aber auch leichter von der Meinung anderer beeinflussen. Beide Begriffe sind Konstruktionen aus dem lat. vertere = kehren; wenden; drehen zusammen mit den lat. Vorsilben intro = hinein, nach innen, innerlich bzw. extra = außen, außerhalb.

Doch wieso gibt es neben der Form extravertiert auch die orthografische Variante extrovertiert? Der Grund ist ebenso banal wie offensichtlich: Es handelt sich um eine Angleichung der Schreibweise an introvertiert, die der engen Verwandtschaft der beiden Ausdrücke als Gegensatzpaar Rechnung trägt. Ein ähnliches Phänomen ist beim fast nur in der Fachliteratur zu findenden Gegensatzpaar introspektiv (in eigener innerer Betrachtung, psychologischer Selbsterkenntnis) und extraspektiv (in Fremdbetrachtung) zu beobachten – hier ist sogar nur die an »intro…« angelehnte Form »extrospektiv« im Duden (Das große Fremdwörterbuch, 2007) verzeichnet.

Ob man nun also »extrovertiert« oder »extravertiert« schreibt, spielt weder aus semantischer noch aus orthografischer Sicht eine Rolle – beide Wörter haben die gleiche Bedeutung, und beide Schreibweisen gelten als richtig. Die an introvertiert angelehnte Form extrovertiert überwiegt mittlerweile bei weitem und wird auch vom Duden empfohlen; die Form extravertiert ist aus etymologischer und wissenschaftlicher Sicht jedoch die ursprünglichere Form, weshalb sie von Sprachkennern oft bevorzugt wird. Auch wir raten der Sprachgenauigkeit zuliebe zu dieser Form.

Danke an Jürgen Oeder, der mich mit einem Forumsbeitrag zu diesem Thema inspirierte.

Julian von Heyl am 15.01.12 | Kommentare (11) | Visits: 59413

Rubrik Kurz erklärt:

Die deutsche Sprache ist gespickt mit Fallstricken. Hier gehen wir auf ausgewählte Problemfälle ein und liefern kurze Erklärungen und Definitionen zu Schreibweise, Grammatik und praktischer Anwendung.

Kommentare

1  marcel

Ich wollte nur anmerken, dass Introversion nichts mit Scheuheit zu tun hat, sondern dass die Zuwendung am Subjekt stattfindet. Im Gegensatz zu Extraversion, wo die Zuwendung am Objekt geäußert wird. Ansonsten sehr schön beschrieben. Wie immer. ;)

Geschrieben von marcel am 24.11.16 17:25

2  Susanne Kuhlmann-Krieg

Was für eine tolle Seite! Wissen Sie vermutlich. Trotzdem: Vielen Dank!!!

Geschrieben von Susanne Kuhlmann-Krieg am 11.01.17 11:54

3  Anne Panzer

Jetzt ist es für mich klar, welche Form ich verwende.
Danke für die ausführliche Erklärung.

Geschrieben von Anne Panzer am 08.06.17 08:57

4  Oliver

Großartige Seite! Vielen Dank für die vielen hilfreichen und sehr gut verständlich Erklärungen. Ich bin begeistert.

Geschrieben von Oliver am 15.08.17 15:33

5  Helmut

Und was ist mit Kontroverse? Das müsste dann doch auch Kontraverse heißen - oder etwa nicht?

Geschrieben von Helmut am 20.06.18 20:55

6  Anna Medesi

Herrlich, diese Liebe zur Sprachgenauigkeit!😊

Geschrieben von Anna Medesi am 17.08.18 22:49

7  forscher

"die Form extravertiert ist aus etymologischer und wissenschaftlicher Sicht jedoch die ursprünglichere Form."

Was genau ist denn daran wissenschaftlicher?

Wissenschaftlich gesehen würde man aus historischer Tradition die lateinische Form schreiben, während "extrovertiert" eine sprachliche Anpassung an die Eigenheiten unserer Landessprache sind, vergleichbar mit dem Intro und Outro.
Die Übernahme lateinischer Worte stammt aus den engen Kontakten unserer Vorfahren mit dem römischen Reich in dem jeder Legionär lateinische Grundkommandos erlernte, wie z.b. das Kommando zum Wenden der Legion. Aber auch die christlichen Mönche die ja an die römisch-katholische Kirche gebunden waren, mussten grundsätzlich Latein lernen, woraus sich die Tradition ableitet wissenschaftliche Namen zu lateinisieren wie z.b. den "Homo Habilis".
Aus etymologischer Sicht müssten wir allerdings eine weiter entwickelte Form von *werþaną schreiben, was übrigens die urgermanische Wurzel des Wortes "werden" ist. Da dies zu den Sonderfällen deutscher Worte gehört, ist es auch kein Lehnwort, sondern war bereits vor der lateinischen Sprache in Mitteleuropa gebräuchlich. Das selbe lässt sich für extro/extra feststellen. Diese Worte müssen existiert haben weil Zugtiere und Boote schon seit 6000 Jahren in Gebrauch sind und ebenfalls gewendet werden mussten.

So gesehen ist vertere möglicherweise sogar eine urgermanische, romanisch lateinisiert wieder eingewanderte Wortschöpfung und ist daher nicht zwingend lateinisch zu nutzen. Eine eingedeutschte Version ist also auch wissenschaftlich etymologisch korrekt.
Sicher gab es auch eine minoisch-archaische und indoanatolische Form, die wahrscheinlich die Quelle des lateinischen Wortes ist, denn wie wir wissen, erzählt die römische Geschichte von Romulus und Remus von einer Einwanderung der Römer in das Land der Latiner. Zudem stammt vieles aus der römischen Mythologie von den Griechen.

Hier wird also eine historische Sprachentwicklung mit einer etymologischen Entwicklung gleich gesetzt, aber das ist falsch da die deutsche Form ja nicht verdrängt, sondern der deutsche Wortschatz grundsätzlich mit zahlreichen lateinischen Worten ergänzt wurde.

Oberflächliche Sprachforscher neigen dazu alles mit römischer oder griechischer Herkunft zu erklären und neuerdings werden auch den Kelten allerlei Wortschöpfungen in den Mund gelegt. Man muss jedoch dazu sagen, das dies auf Theorien beruht, da die Belege dafür nicht erbracht werden können.
In den letzten 40 Jahren entpuppten sich zahlreiche dieser Theorien als Vorurteile die schlichtweg falsch waren. Insbesondere die germanische Sprachforschung hat unter den Kriegsfolgen so sehr an Ansehen verloren, da viele Ultras unter Entnazifizierung auch die Entgermanisierung verstehen, was sich auch deutlich an der Wikipedia zeigt, die voll von Nachkriegs-Vorurteilen gegenüber den Germanen ist.

Auch Wissenschaftler meiden den offenen Widerspruch um sich nicht den Vorwürfen nationalistischer Nähe zu rechten Ansichten auszusetzen. Es ist jedoch zu bedenken das Deutschland nunmal zufällig in der Mitte des Kontinents liegt und von daher eine sehr sehr lange Sprachentwicklung hinter sich haben muss.
Demzufolge ist es auch die erfolgreichste Sprache dieses Kontinents und das trotz der Römer, der spanischen Kolonisation, der englischen Expansion, der kriegsbedingten Ächtung und der Ostblock-Russifizierung.
Das germanische Erbe wird daher gerne keltisch, nordisch, slawisch oder römisch (je nach Windrichtung) umgedeutet und negiert, also gewissermaßen umgedreht. Ob das der richtige Weg ist, wage ich zu bezweifeln. Es kommt vielmehr darauf an das man andere Menschen achtet. Diese Achtung hat leider auch den Römern gefehlt als sie die Sklaverei perfektionierten und Menschen damit zur Ware machen indem sie allen Nichtrömern jegliche Rechte absprachen. Auch das ist ein Erbe an dem wir noch knabbern, und da hilft es auch nicht wenn man ihm den neuen Namen "Hartz IV" gibt. Das deren Rechte umgedreht, also negiert werden ist, zeigt den Zustand unserer Demokratie, die eher der dekadenten Vetternwirtschaft römischer Senatoren gleicht. Es ist also mehr eine "Veterokratie" nach römischem Vorbild.

Geschrieben von forscher am 04.07.19 22:15

8  nihi

Zu dem Kommentar von ,,forscher" (Nr. 7):

Ich denke, dass Ihr Kommentar leider am Thema vorbei geschlittert ist. Sie können die Herkunft des Wortes auch bis zum Urschleim versuchen zurück zu verfolgen, das ändert aber eben nichts an dessen wissenschaftlicher Prägung durch C. G. Jung innerhalb dieses Kontextes. Der Begriff hat als ,,Extraversion" und als nichts anderes mit einer bestimmten Prägung innerhalb der Persönlichkeitspsychologie Eingang gefunden. Wenn man sich wissenschaftlich auf diesen Fachbegriff bezieht, sollte man also nicht nach Gutdünken einen anderen Begriff benutzen oder ihn ändern ohne begründete Neuprägung und hoffen, dass andere Wissenschaftler einen verstehen. Eben genau dieser Umstand ist einer von vielen, der wissenschaftliche Terminologie von Umgangssprache unterscheidet. Und u.a. eben genau diese Konsequenz erzeugt eine terminologische Schärfe von Begriffen, im Gegensatz zur Umgangssprache, wo Begriffe wild geändert und ersetzt werden.

Wenn Sie in der Wissenschaft ,,Extroversion" nutzen, wird man zu Recht fragen, was Sie darunter verstehen oder ob Sie sich überhaupt auf ,,Extraversion" beziehen oder was da sonst los ist.

Was sie ja gern kritisieren können und auch zu Recht zur wissenschaftlichen Genauigkeit gehört, ist, die evtl. fehlerhafte Einführung auf Seiten von C. G. Jung. Dann müssen Sie eine Begründung schaffen und diese auch innerhalb dieses wissenschaftlichen Feldes prägen oder sich eben immer wieder erneut erklären. Solange zählt weiter der Fachbegriff ,,Extraversion" und ist damit, wie im Artikel angemerkt, die wissenschaftlichere Wahl im Gegensatz zur ,,Extroversion".

Ob der Begriff auf Ebene der (wissenschaftlichen) Etymologie korrekt oder angemessen ist, ist eine Frage einer ganz anderen wissenschaftlichen Disziplin (eben der Etymologie), die den Begriff aber selbst gar nicht verwendet, sondern untersucht! Und das sind eben zwei verschiedene paar Schuhe, die Sie in Ihrem Kommentar leider zusammenwürfeln.

Das heißt: Vielleicht, sofern man Ihnen Glauben schenken möchte, ist der Begriff ,,Extroversion" (der umgangssprachlich verwendet wird) theoretisch angemessener als ,,Extraversion" oder gleichrangig, aber er ist dennoch unwissenschaftlicher in Bezug auf das, was wissenschaftlich unter der Definition dessen, was (zur Zeit) ,,Extraversion" heißt, zu fassen ist.

Geschrieben von nihi am 07.11.19 22:17

9  Anti-Forscher-LOL

Zuerst mal super Artikel, Danke dafür.
In der Wissenschaftswelt wird "Extraversion" benutzt, alles andere ist einfach unsachlich. Dies bedeutet nicht, dasd man nicht auch unsachlich darüber diskutieren kann, so beispielsweise:
Natürlich gibt es Menschen die den nötigen NC von 1.0 für das Studienfach "Psychologie" an einer deutschen Hochschule nicht erbringen können und die das nicht nachvollziehen können oder möchten und die dann auch logischerweise lieber AFD wählen, da ihre ständig befeuerte Amygdala sie zur einer Xenophobie treibt, die dann eben solche Blüten trägt, wie man sie bei finsteren Gestalten wie "forscher" ungläubig bestaunen kann.

Q.E.D.

THE WORLD IS FUCKED
IT IS YOUR FAULT
AND IT'S GETTING WORSE
HAVE A NICE WEEKEND!!

Geschrieben von Anti-Forscher-LOL am 23.11.19 10:19

10  Psychologe

Ich versuche es kurz zu machen. Etymologisch deutet alles auf extra hin. C.G.Jung wählte deshalb "extra". Daher gibt es nur eine richtige Form. Der Duden sagt uns ausdrücklich nicht, was richtig ist, er sagt was gesprochen wird. Wenn genug Menschen "make sense" zu Sinn machen adaptieren, bleibt es semantisch alogisch. Der Sinn kann nicht gemacht werden, da machen immer an sichtbare, nicht-geistige Prozesse gekoppelt ist. Der Sinn aber abstrakt ist und...lediglich gefunden oder erkannt werden kann, anders als ein Auto das gemacht/produziert wird. Die Leute reden ständig von Dingen mit denen sie sich nicht auskennen. In fast jedem Film, fast jeder Serie und sogar Romanen wird die paranoide Schizophrenie mit einer dissoziativen Identitätsstörung verwechselt. Das ist ein völlig anderes, eigenständiges Krankheitsbild laut DSM V und ICD-10. Nur weil Laien es falsch benutzen, ist das Störungsbild trotzdem unterschiedlich. Und bleibt es. Der Duden hingegen könnte irgendwann darunter leiden, dass sich einer seiner Macher denkt, dass eine Gleichsetzung nicht so schlimm sei...Und abschließend. Rechtlich ist der Duden nicht bindend. Er ist Konvention und nicht Pflicht. Was Lehrer einem nicht sagen. Aber daher ist das Argument, der Duden erlaube es oder führe selbst nur die falsche Form, überhaupt keines. Es ist schlichtweg ein Fehler im Duden. Der Duden ist hilfreich, aber keine Wiedergabe etymologischer Wahrheit. Und diesen Anspruch haben die Macher auch gar nicht. Er wird von Menschen lediglich darauf projiziert. Hier selbst vom Artikel-Ersteller.

Geschrieben von Psychologe am 21.04.20 11:32

11  Sprachlicher Vollpfosten

Abseits - und spät - von alldem:
Wie unterscheide ich in der Schriftsprache extravertiert von extravertiert?
Also Extraversion von extra Vertiertheit?
(Aus dem Kontext ist das schließlich nicht immer möglich)

Geschrieben von Sprachlicher Vollpfosten am 03.05.21 12:19

Schreiben Sie einen Kommentar:

Kommentar

*

*

 Ja  Nein

 Bei Antworten auf meinen Kommentar benachrichtigen


Die mit einem * markierten Felder müssen ausgefüllt werden.
Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht!

Nutzen Sie bitte für Suchanfragen die Wörtersuche rechts oben im Kasten oder das obenstehende Google-Suchfeld. Mit der benutzerdefinierten Google-Suche wird die gesamte Website durchsucht.