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Nachgefragt

irrewerden vs. irre werden

Die Änderungen der Rechtschreibreform brachten neben den vieldiskutierten Getrenntschreibungen auch einige nunmehr zusammenzuschreibende Verbverbindungen, so auch »irrewerden«. Über die Abgrenzung zwischen übertragener und konkreter Bedeutung scheinen sich die Wörterbücher allerdings nicht so ganz einig zu sein.

Frage:
Als Bedeutung zum Verb irrewerden (oder irrwerden), welches nach neuer Rechtschreibung zusammenzuschreiben ist, ist im »Duden – Die deutsche Sprache« zu lesen: in seiner Auffassung unsicher werden [und das Vertrauen zu jemandem, in etwas verlieren]. Die Kollegen von »Brockhaus Wahrig Deutsches Wörterbuch« differenzieren hingegen: 1. an jmdm. ~ an jmdm. zweifeln, verzweifeln; 2. den Verstand verlieren, in geistige Umnachtung verfallen.

Speziell die zweite Bedeutung hat mich etwas erstaunt, hätte ich doch erwartet, dass man im konkreten Sinn von »den Verstand verlieren« getrennt schreibt: »irre werden«. Man würde ja auch nicht »verrücktwerden« schreiben. Wie sehen Sie das? Schreibt man »irrewerden« nun stets zusammen oder ist bei konkreter Bedeutung auch die Getrenntschreibung möglich oder sogar zwingend?
Julian von Heyl, korrekturen.de

Antwort:
Hier geht es wieder einmal um den – fast möchte man sagen »leidigen« – Paragrafen 34 des amtlichen Regelwerks. Dort heißt es nämlich unter Abschnitt 1.3 E4, dass zu den mit dem Verb zusammenzuschreibenden Verbpartikeln auch »irre-« gehört. Es handelt sich dabei um »Bestandteile, die in der Verwendung beim Verb nicht mehr einer bestimmten Wortartkategorie zugeordnet werden können«. Das gilt sicher für Fälle wie »irreführen« oder bei der abstrakten Verwendung von »(an etwas oder jemandem) irrewerden«. Wenn man dagegen »werden« mit dem frei verwendbaren (veralteten oder nur noch umgangssprachlichen) Adjektiv »irre« im Sinne von »geisteskrank" verbindet, liegt nach Ansicht der Dudenredaktion nicht das vor, was in der amtlichen Regel gemeint ist. Dort wird ja auch »wahr-« angeführt, was bei »wahrsagen« und »wahrnehmen« plausibel ist, nicht aber bei einer Verbindung wie »wahr werden«, die auch in keinem Wörterbuch in Zusammenschreibung geführt wird.

Nun könnte man noch zugunsten eines konkret gemeinten »irrewerden« auf den Abschnitt 2.1 verweisen, wo bei den »resultativen Prädikativen« die Zusammenschreibung immerhin freigestellt ist. Dann müsste man aber die Lemmalisten der Wörterbücher um zahlreiche Fälle von »altwerden« bis »wahrwerden« ergänzen, was die Lexikografen bisher vermieden haben. Es gilt wohl die stillschweigende Übereinkunft, Verbindungen mit »werden« nicht zu den in § 34 2.1 gemeinten Prädikativen zu zählen.

Damit es nicht zu einfach wird: Idiomatisierungen wie zum Beispiel bestimmte Lesarten von »fertig« + »werden« sind natürlich nach § 34 2.2 entweder nur oder auch zusammenzuschreiben.
Dr. Werner Scholze-Stubenrecht, Leiter der Dudenredaktion

Julian von Heyl am 27.11.13 | Kommentare (3) | Visits: 15579

Rubrik Nachgefragt:

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Kommentare

1  Belles Lettres

Das geht nicht aus § 34 1.3 E4 hervor, sondern allein aus Seite 178 der Wortliste. Die Kriterien der Regel erfüllen nur Verben wie 'irreführen'. 'Irre werden' wird aber in der Wortliste als Beispiel für die Regel angeführt, obwohl 'irre' als Adjektiv frei gebraucht wird, und zwar wie seit jeher für den Gemütszustand des seelischen Aufruhrs. Viele solche Fragen entstehen nur, weil die Wortliste von einem Praktikanten verfaßt worden ist, der das Regelwerk nicht verstanden hat.

Geschrieben von Belles Lettres am 27.11.13 16:59

2  Marco Müller

Ob die Dudenredaktion tatsächlich noch als kompetent anzusehen ist?

Das fragte mich, als es um das Wort Quentchen ging.

Seit der Rechtschreibreform schreiben wir Stengel als Stängel und plazieren als platzieren, weil der Wortstamm Stange bzw. Platz ist. Doch wieso wurde aus dem Quentchen das Quäntchen, obwohl der Wortstamm Quent lautet?

Dazu schreibt der Online-Duden unter der Rubrik Herkunft: "heute meist als Ableitung von Quantum empfundene und in der Schreibung an diese angepasste".

Welch ein Unfug ist das: Da sollen wir uns einerseits am Wortstamm orientieren, andererseits danach, wie etwas empfunden wird?! Das ist zum Irrewerden.

Bei solcherlei Erklärungen möchte ich den Duden gern zum Nachschlagen gebrauchen – aber im wörtlichen Sinne!

Geschrieben von Marco Müller am 28.11.13 17:56

3  Julian von Heyl

@Marco:
Das "Quäntchen" gehört zu einer Reihe vielkritisierter Änderungen, bei denen volksetymologischen Auslegungen der Vorrang vor der tatsächlichen Herkunft eingeräumt wurde: ebenso Tollpatsch, belämmert, Plattitüden etc. Für die Wörterbuchverlage ist es oft problematisch, damit umzugehen, aber es steht leider nicht in ihrer Macht, entgegen dem amtlichen Wörterverzeichnis eigene Schreibweisen festzulegen.

Geschrieben von Julian von Heyl am 28.11.13 19:14

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