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Rezensionen

Duden – Richtig gendern

duden_gendern.jpgWohl kaum eine Neuveröffentlichung aus dem Dudenverlag hat derart heftige Reaktionen hervorgerufen wie der Duden-Ratgeber »Richtig gendern« von Gabriele Diewald und Anja Steinhauer. Das ist bedauerlich, denn wer sich etwas intensiver mit dem Werk befasst, wird schnell feststellen, dass der Ratgeber einen gleichermaßen pragmatischen und fundierten Zugang zum »Gendern« in dem Sinne bietet, wie die Autorinnen es verstehen: »Sprache geschlechtergerecht gestalten.«

Seit mit der Rechtschreibreform 1996 das sogenannte Dudenmonopol gebrochen wurde und allein durch die amtlichen Rechtschreibregeln festgelegt ist, was richtig und was falsch ist, hat sich der Duden stark verändert: weg von normativen Festlegungen, hin zu einem deskriptiven Ansatz mit dem Anspruch, den vorherrschenden Sprachgebrauch unter Berücksichtigung und auf Grundlage des Regelwerks möglichst genau zu dokumentieren. Die logische Folge davon ist, dass sich der Duden auch Veränderungen der Sprache nicht verschließen kann, die dem Bedürfnis entspringen, diskriminierenden Sprachgebrauch zu vermeiden. Entsprechende Hinweise zu Bezeichnungen wie »Zigeuner« oder »Eskimo« finden sich schon seit einigen Jahren in den Duden-Bänden.

Mit seinem Ratgeber »Richtig gendern« geht der Duden noch stärker in die Offensive, indem er es nicht nur bei Hinweisen belässt, was man sprachlich vermeiden sollte, sondern auch Hilfestellung dabei geben will, wie man diskriminierungsfreie – bzw. in diesem Fall: gendergerechte – Sprache in der eigenen Textarbeit umsetzen kann. Die beiden Autorinnen Gabriele Diewald und Anja Steinhauer unterstreichen hierbei mit ihrer wissenschaftlichen Expertise den Anspruch des Werks, über einen bloßen Leitfaden hinaus das Thema möglichst grundlegend zu erfassen. Prof. Dr. Gabriele Diewald ist Professorin für Germanistische Linguistik an der Leibniz Universität Hannover, wo sie unter anderem zu »geschlechtergerechter Sprache in Theorie und Praxis« forscht, während die Philologin Dr. Anja Steinhauer bereits an zahlreichen Duden-Werken mitgewirkt hat.

»Wie Sie angemessen und verständlich schreiben«, so lautet der Untertitel des 128 Seiten starken Ratgebers, den es auf der Duden-Website auch als PDF zu kaufen gibt. Mit ihrer pragmatischen Grundhaltung haben es die Autorinnen geschafft, gleich auf zwei Seiten Anstoß zu erregen: Zu der erwartbaren Kritik selbsternannter Sprachhüter, die das Buch ungelesen schon aufgrund des Titels in der Luft zerreißen, kommt der Vorwurf von radikalfeministischer Seite, man habe »nichtbinäre Menschen« nur unzureichend gewürdigt. Denn sehr praxisnah geht der Ratgeber davon aus, dass »gendergerechte Sprache die Berücksichtigung von zwei Geschlechtern, Männern und Frauen, sicherstellen« müsse, was sich unter anderem »aus der prototypischen Alltagswahrnehmung vieler Menschen« speise. Gleichzeitig wird klargestellt: »Damit soll in keiner Weise die Möglichkeit oder gar die Legitimität in Abrede gestellt werden, weitere, feinere oder auch andere Differenzierungen je nach Ausdrucksabsicht zu treffen.«

Liest man sich in das Buch ein, findet man schnell Gefallen an der unaufgeregten Art, in der die Autorinnen das Thema abhandeln. Hier soll nicht moralinsauer etwas verordnet werden, sondern durch Darlegung und Klärung der sprachlichen Grundlagen soll der Leser oder die Leserin anhand der Lektüre ein eigenes Bewusstsein für die sprachliche Arbeit gewinnen. Entsprechend ist zunächst auch viel – oft etwas trockene – Theorie zu verarbeiten: In welchem Verhältnis zueinander stehen grammatisches, semantisches, soziales und biologisches Geschlecht? Und warum kann das »generische Maskulinum« nie wirklich genderneutral sein? Das ist teils interessant zu lesen, dürfte in seiner linguistischen Komplexität aber auch bei manchen den Wunsch wecken, die Autorinnen würden etwas schneller zur Sache kommen, wie man denn nun richtig gendert.

Der Hauptteil des Buches ist dann in zwei Bereiche untergliedert, die das richtige Gendern »auf der Wortebene« und »in Satz und Text« behandeln. Schnell wird deutlich: Leichte Patentrezepte gibt es nicht. Mit Doppelnennungen oder Schrägstrichformen ist man vordergründig auf der sicheren Seite, handelt sich aber auch mühsam zu lesende und wenig elegante Texte ein. Zumal, wie genauestens aufgezeigt wird, der Teufel oder die Teufelin im Detail steckt: So ist etwa der Dativ Plural »den Mitarbeiter/-innen« ungrammatisch, da die Flexionsendung »n« von »Mitarbeitern« verloren geht, und die eigentlich korrekte Form »den Mitarbeiter-/-inne-/-n« will man sicher niemandem zumuten. Um solchen Problemen zu entgehen, regt der Ratgeber zur Kreativität an: Warum nicht einfach stattdessen von der Belegschaft oder vom Kollegium sprechen, wenn es textlich passt? Wer es mit den Rechtschreibregeln genau hält, wird begrüßen, dass das Buch bei den sogenannten Sparschreibungen Wert auf Korrektheit in Grammatik und Kongruenz legt: So werden auch Schreibweisen wie »Wir suchen eine/-n Webdesigner/-in« kritisiert, da das Mitlesen oder Weglassen des jeweiligen Teils nach dem Schrägstrich hier nicht parallel verläuft – das Auge erfasst »eine Webdesigner« versus »einen Webdesignerin«. Binnenmajuskel, Gendersternchen und Gendergap, also Formen wie »KollegInnen«, »Kolleg_innen« und »Kolleg*innen«, finden zwar Erwähnung, werden aber nicht vertieft behandelt.

Für die Textanalyse führen die Autorinnen den Begriff der Genderrelevanz ein. Diese ist beispielsweise bei der Ersterwähnung einer Person oder Personengruppe besonders hoch, bei Komposita wie »Leserbriefe« hingegen schon niedriger – dennoch werden hier Ersatzformulierungen wie »Briefe an die Redaktion« als bessere Alternative betrachtet. Eine niedrige Genderrelevanz liegt vor, wenn Dingliches bezeichnet wird, weshalb es z. B. als übertrieben empfunden wird, dem »Bürgersteig« einen »Bürgerinnensteig« zur Seite zu stellen. Auch in diesem Teil des Buches dienen die Beispiele aber hauptsächlich dazu, das eigene Bewusstsein zu schärfen, inwieweit man mit seinem Text tatsächlich diejenigen, die man ansprechen will, auch angemessen anspricht.

Noch stärker in die Praxis geht es im Bereich »Beispielanalysen«. Hier werden Texte aller Art auf ihre Genderrelevanz hin analysiert, es werden Schwachstellen bloßgelegt und Alternativen aufgezeigt. Auch hier gilt: Man muss mit den jeweiligen konkreten Lösungsmöglichkeiten nicht immer einverstanden sein und kann durchaus selbst zu anderen Lösungen kommen; entscheidend ist nur, dass man seinen analytischen Blick dafür schärft, wann ein Text in der Geschlechternennung zu diffus geraten ist bzw. unter der Perspektive der Gendergerechtigkeit Defizite aufweist. Im abschließenden Teil wird dann noch ein kurzer Abriss zur geschichtlichen und gesellschaftlichen Entwicklung der gendergerechten Sprache gegeben.

Fazit: Wer sich dem Thema gendergerechte Sprache praktisch und ohne ideologische Scheuklappen nähern will, ist mit dem vorliegenden Duden-Band bestens bedient. Wenngleich manchmal etwas theorielastig, vermittelt der Ratgeber mit seiner profunden wissenschaftlichen Unterfütterung und vielen Praxisbeispielen – gleichzeitig aber ohne erhobenen Zeigefinger – ein gutes Bewusstsein dafür, welche Bedeutung gendergerechte Sprache hat und wie man sie selbst praktisch umsetzen kann. Immer wieder wird dabei an die eigene Kreativität appelliert: Denn nur wer um alle lexikalischen, semantischen und grammatischen Möglichkeiten weiß und diese virtuos einzusetzen weiß, kann formvollendet gendern. Im Idealfalle kommen dabei Texte heraus, die Männer und Frauen gleichberechtigt meinen und ansprechen, ohne dass man ihnen überhaupt anmerkt, dass sie »gegendert« wurden.

DUDEN – Richtig gendern
Wie Sie angemessen und verständlich schreiben
Berlin 2017, 1. Auflage, Dudenverlag
Buch | PDF


Julian von Heyl am 11.02.18 | Kommentare (6) | Visits: 1661

Rubrik Rezensionen:

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Kommentare

1  Kommentator

Ich bin mir nicht sicher, ob Radikalfeministinnen sich typischerweise für nichtbinär identifizierte Leute / Transleute einsetzen. Eher wäre "queerfeministisch" der richtige Ausdruck, glaube ich.

Geschrieben von Kommentator am 25.03.18 21:48

2  Kara

Was für ein Bullshit.
Den Deutschen geht es einfach zu gut.
Wie bei kleinen Kindern...
Langeweile, Ziel- und Planlosigkeit führen zu Unsinn.

Geschrieben von Kara am 30.03.18 16:15

3  Databo

Ohne ideologische Scheuklappen?

Ich habe das Buch nicht gelesen, aber nach Lesen dieser Rezension kann ich nicht erkennen, daß hier unideologisch vorgegangen wird. Die sogenannte geschlechtergerechte Sprache ist an sich ein ideologisches Konstrukt, das im Alltag nicht angewendet wird und auch nicht angewendet werden kann.

Es ist positiv zu sehen, daß die extremsten Auswüchse mit Schrägstrichen, Sternchen u. ä. in dem Buch offenbar nicht als besonders sinnvoll betrachtet werden. Auch alle anderen Vorschläge sind aber ungeeignet. Doppelnennungen sind zu lang, zu umständlich und funktionieren in vielen Fällen schon aus logischen Gründen nicht. Die genannten »Ersatzformulierungen« sind zwangsläufig unpersönlich. Das führt zu schlechtem Schreibstil und Texten, den niemand mehr gerne liest.

Das ganze basiert auf der unhaltbaren These, daß das, was gerne als »generisches Maskulinum« bezeichnet wird, sich nur auf Männer bezieht. Das ist einfach falsch. Erst durch die mit dem Feminismus aufgekommene ständige zusätzliche Erwähnung der spezifisch weiblichen Form wird die generische Form von manchen (aber nicht der Mehrheit) inzwischen als rein männlich wahrgenommen. Das ist sie aber nicht.

Die ganze Diskussion ist überflüssig und ideologisch. Unsere Sprache diskriminiert Frauen nicht, es gibt überhaupt keinen Grund, in sie einzugreifen.

Geschrieben von Databo am 01.04.18 12:53

4  Christian Hoen

Aha. Das Buch soll also moralinfrei sein. Alles klar. Wenn dann im selben Absatz noch zwischen sozialem und biologischem Geschlecht unterschieden wird, ist klar wessen Geistes Kind dieser Artikel hier ist. Postmodernismus ist keine Alternative!

Geschrieben von Christian Hoen am 23.04.18 10:12

5  Klaus Kopp

Wenn die professionellen Sprachler*innen samt altehrwürdiger, nunmehr dem/der ZeitGeist*IN sich anbiedernder Verlage - ideologisch verscheuklappt daherkommen, ist höchste Zeit, dass ihr Gesinnungs-Kitsch mitsamt dem Rest-Müll der 68er-Buntwelt gendergerecht *entsorgt* werden.

Es schlägt die Stunde der "selbsternannten Sprachschützer", was ein jeder werden kann, der (!) sich sprachlich bedacht und wenn nötig innovativ äußert;
ob er Mann oder Frau ist, spielt dabei gerade KEINE Rolle!

Wie schon angesprochen wurde: Das generische Maskulinum bezieht sich genau so wenig nur auf Männer, wie DER Mond männlich und DIE Sonne weiblich wäre. Die grammatischen Geschlechter unserer Wörter haben ihre Gründe in uralten sprachlichen Ursprüngen noch aus dem Ur-Indogermanischen - und haben mit einer von wildgewordenen WeiberInnen vermuteten Privilegierung von Männern nicht mehr zu tun, als wie der Mensch geschaffen wurde - als Mann und Frau.

GOTT ist nicht männlich im natürlichen Sinn, sondern GEIST. ABER ER will und soll von uns VATER genannt werden, weil diese Anrufung von IHM gewollt und geboten ist, aber als Hilfe für UNS, IHN zu erkennen, soweit auf Erden möglich ist.
Wer hier un*sprachlich herum-fuhrwerkt, bastelt sich seine*n eigene*n "Go(e)tt(in)", welche*r aber eher ein Götze seines ideologischen Eigenwahns ist - als wie der HERR erkannt werden will, soll, darf - und kann.

Die männliche Form in sprachlicher Urzeit war eine Subjektkennung, die sächliche Form entstand als Objekt-Form, und die weiblichen Formen (in Artikel wie Endungen) galten als Sonderformen für Weibliches wie auch Abstrakta u.ä., um es kurz anzudeuten.

Sprachummodelungen sind satanisch und ein neuer Turmbau.

Retten wir die Sprache vor ihrer gänzlichen Verhunzung, um das Denken nicht in künstliche Korsette zu zwängen!

Gleiches Recht für alle vor dem Gesetz, aber WEG mit verordnetem Feminismus und dem närrischen Gendermist!

Meine alten Duden-Ausgaben halte ich in Ehren; ein neuer "Duden" wie der rezensierte kommt mir nicht ins Haus.

Brecht Bahn Euch, Amateure, Dilettanten,
Vergesst die ignoranten Sprachpfusch-Gouvernanten!

Geschrieben von Klaus Kopp am 26.04.18 18:10

6  Julian von Heyl

Da in den Kommentaren kaum auf das rezensierte Buch Bezug genommen wird, sondern eher zum allgemeinen Sinn oder Unsinn geschlechtergerechter Sprache Stellung bezogen wird, mache ich hier mal zu.

Geschrieben von Julian von Heyl am 26.04.18 19:15

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