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Re: Welche Kommaregel? (Zur ges. Diskussion)

Autor:Jesse
Datum: Di, 08.11.2016, 20:49
Antwort auf: Re: Welche Kommaregel? (Kai)

Zur Diskussion zwischen Kai und Pumene:

Das Ergebnis von Kai ist - zumindest gemäß der Regeln - korrekt. Die Argumentation von Pumene ist aber auch korrekt.

In der Regel des Dudens heißt es klar, dass das schließende Komma entfällt, wenn der Einschub zwischen Adjektiv und Substantiv steht. Das ist hier nicht der Fall. Der Einschub bildet das Adjektiv und steht zwischen Artikel und Substantiv. Die Regel ist dem Wortlaut gemäß nicht auf diesen Fall anwendbar. Der Beispielssatz des Dudens dazu lautet: "Das Buch enthält viele farbige, und zwar mit der Hand kolorierte Holzschnitte." Hier trennt der Einschub tatsächlich das Adjektiv farbige vom Substantiv Holzschnitte. Oder übertragen auf unser Beispiel etwa "eine populäre, wenn auch ultrabrutale Sportart."

Der Duden verweist allerdings auch auf § 77 (4) der amtlichen Regeln. Und dort findet sich eine abweichende Formulierung, nämlich:

"Wird (...) die Erläuterung in die substantivische oder verbale Fügung einbezogen, so grenzt
man sie mit einfachem Komma ab".

Der Einschub "wenn auch ultrabrutale" ist in die substantivische Fügung einbezogen. Entsprechend entfällt das schließende Komma.

Ich bevorzuge normalerweise die Regeln des Dudens gegenüber den amtlichen. Der Duden konkretisiert hier die Regel, indem er aus der substantivischen Fügung einen Einschub zwischen Adjektiv und Substantiv (dem häufigsten Beispiel) macht. Ferner konkretisiert er das wegzulassende Komma. Das dient durchaus der Verständlichkeit. Allerdings führt diese Konkretisierung der Regel genau dazu, dass sie unseren Beispielssatz von ihrem Wortlaut her nicht mehr umfasst. Man kann jetzt darüber diskutieren, ob es sich um eine bewusste Abweichung von der amtlichen Regel handelt oder ob - versehentlich oder zu Gunsten der praktischen Verständlichkeit bewusst in Kauf genommen - bei der Neuformulierung nur ein weiter Teilanwendungsfall der Regel abgebildet wurde.

Jedenfalls kommt man für unseren Beispielsfall bei einer Argumentation mit der Duden-Regel für sich nicht weit, da sie ihn vom Wortlaut her nicht abdeckt und man muss stattdessen auf die amtlichen Regeln (zusätzlich) zurückgreifen.

Zur Regel für sich und warum sie falsch ist:

Und ums nach der Zustimmung zu Kais Ergebnis bei gleichzeitiger Zustimmung zu Pumenes Argumentation noch etwas komplizierter zu machen: Ich würde diesem Ergebnis in der Praxis nicht folgen. Ich halte nichts von dieser Regel.

Vereinfachen wir hierzu unseren Beispielssatz zu: "Es ist eine ultrabrutale Sportart." Nun will ich das Adjektiv ultrabrutal aber als Einschub abgrenzen (und damit gleichzeitig die Aussage, dass es eine Sportart ist, als Aussage für sich erhalten). Regelmäßig mache ich das mit zwei Kommata, also:

Es ist eine, ultrabrutale, Sportart.

Nach den amtlichen Regeln müsste es heißen:
Es ist eine, ultrabrutale Sportart.

Zugegeben sieht auch das erste Beispiel nicht besonders hübsch aus. Aber als Leser ist für mich hier deutlich, dass es sich um einen Einschub handelt. Ich sehe auf den ersten Blick, dass die erste Aussage ist, dass es sich um eine Sportart handelt und ebenso, dass eine zusätzliche Erläuterung oder Wertung in Form des Adjektivs gegeben ist.
Im zweiten Beispiel dagegen würde ich als Leser zunächst von einem Tippfehler ausgehen. Ein Komma zwischen Artikel und Adjektiv? Was soll das? Natürlich, denkt man darüber nach, erkennt man die Idee und "eine" wird zum gefühlten Adjektiv mit eigener Aussage. Damit ist der Zweck erfüllt. Aber darüber muss ich erst einmal nachdenken und dann noch darauf kommen.

Außerdem implizieren Kommata Sprechpausen. Würde ich den Satz sprechen mit der Intention ultrabrutal als Zusatzbemerkung zu machen innerhalb der eigentlichen Aussage, dass es sich um eine Sportart handelt, so würde ich beim Sprechen sowohl vor als auch nach dem Adjektiv eine Pause setzen. Mache ich dagegen nur die Pause nach "eine" und sage dann flüssig "ultrabrutale Sportart" geht die intendierte Abgrenzung von "ultrabrutal" als Zusatzbemerkung völlig verloren.

Genau das passiert m.E. auch, wenn man gemäß der amtlichen Regeln das zweite Komma weglässt. Das wird sogar noch deutlicher, wenn man den Dudenregelfall eines zusätzlichen Adjektivs betrachtet. Allein der Beispielssatz ist in der Hinsicht verräterisch: "Das Buch enthält viele farbige, und zwar mit der Hand kolorierte Holzschnitte." Man beachte das "und zwar"! Es ist zusätzlich nötig etwas wie "und zwar" hinzuzufügen, um den Einschub zu verdeutlichen und es von einer Aufzählung abzugrenzen. Hierzu ein Beispiel, in dem es noch offensichtlicher wird:

Er war ein beliebter, charismatischer, widerlicher Mann.

Auf der ersten Blick ganz klar eine Aufzählung. Das ist ein Mann, der hat drei objektive Eigenschaften: beliebt und charismatisch und widerlich. Aber, wenn er objektiv widerlich ist, warum ist er dann beliebt? Das ergibt natürlich keinen Sinn, denn widerlich ist nicht Teil der Aufzählung, es ist ein Einschub, eine persönliche Wertung, in der ich zum Ausdruck bringen, dass ich das, was andere charmismatisch finden, persönlich widerlich finde. Das zweite Komma kann gerade dazu dienen, einen Einschub klar von einer Aufzählung abzugrenzen. Diese Möglichkeit entfällt durch diese, dumme, Regel und nimmt eine Ausdrucksmöglichkeit die ich im Gesprochenen durch Pausensetzung und Betonung habe. Ich muss also im Zweifelsfall etwas wie "und zwar" hinzufügen oder im Beispielssatz: "Er war ein beliebter, charismatischer, für mich widerlicher Mann." Oder aber ich verwende Gedankenstriche:

Er war ein beliebter, charismatischer - widerlicher - Mann.

Darf ich das überhaupt? Ja! Es gibt einfach keine Regel, nach der der schließende Gedankenstrich in diesen Fällen analog zum Komma entfallen würde. Es wird sogar der gleiche Beispielssatz angeführt, der das widersprüchliche Ergebnis bestätigt:

Auf der Ausstellung waren viele ausländische, insbesondere holländische Firmen vertreten.
Auf der Ausstellung waren viele ausländische - insbesondere holländische - Firmen vertreten.

(Anmerkung: Im Regelwerk heißt es im zweiten Beispiel wörtlich an dieser Stelle Maschinenhersteller statt Firmen.)

Warum?! Warum steht der zweite Gedankenstrich, aber nicht das zweite Komma? Auch der zweite Gedankenstrich trennt Adjektiv von Substantiv und auch der in Gedankenstrichen geschriebene Einschub ist Teil der substantivischen Fügung. Auch kennt die deutsche Sprache Fälle in denen der abschließende Gedankenstrich entfällt - am Satzende etwa. Und im Übrigen werden können Gedankenstriche durch Kommata eins zu eins ersetzt werden. Denn sie sind funktional identisch und austauschbar. Will ich das hier tun, soll plötzlich grundlos der zweite Gedankenstrich einfach ersatzlos entfallen? Und mit ihm schlimmstenfalls die Verständlichkeit durch die klare Kennzeichnung als Einschub im Gegensatz zu einer Aufzählung?

Zusammengefasst nimmt die Ausnahmeregel in § 77 (4) nicht nur die Möglichkeit schriftlich zwischen Aufzählung und Einschub mittels Kommata unterscheiden zu können, sie steht auch noch im Widerspruch zur Verwendung von Gedankenstrichen im identischen Fall.

Also ja, das zweite Komma ist nach den amtlichen Regeln - wenn auch im Ausgangsfall nicht unmittelbar nach dem Wortlaut der Duden-Regeln - falsch. Aber ich würde es jederzeit bewusst "falsch" machen, nachdem diese Regel für sich unsinnig und falsch ist.

 

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