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Zunächst der Link zur Kolumne von Sick:
http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/zwiebelfisch-die-unendliche-ausdehnung-der-gegenwart-a-692917.html
(Dein Link führt übrigens zu einer Log-In-Maske von Wordpress.)

Sicher wandelt sich der Stil in Zeitungen im Laufe der Zeit. Ein Artikel der FAZ oder SZ von heute klingt möglicherweise im Durchschnitt dramatischer und unterhaltender als ein entsprechender vor 50 Jahren. Daher halte ich es auch für nicht unwahrscheinlich, dass das Praesens historicum als dramatisierendes Stilmittel häufiger vorkommt. Ich kann es aber nicht empirisch nachvollziehen. Wenn es dich persönlich stört und du es sogar teilweise als falsch empfindest, ist auch eine selektive Wahrnehmung nicht auszuschließen. Was ich empirisch finden kann sind Belege für das Praesens historicum in Zeitungen zu allen Zeiten. Der früheste Beleg, auf den ich auf die Schnelle gestoßen bin, ist über 400 Jahre alt. Umgekehrt kann ich ebenfalls feststellen, dass das Praesens historicum in seriösen Zeitungen weiterhin die Ausnahme ist. Ich habe die heutigen Ausgaben von FAZ und SZ überflogen und bin dabei auf kein einziges Beispiel gestoßen. Selbst (unterschiedlich stark) dramatisierende und szenische Hergangsbeschreibungen waren im Präteritum abgefasst. Das sagt für einen gesamten Trend aber natürlich genauso wenig aus wie dein Beispiel aus der gestrigen Ausgabe der SZ. Ich weiß es nicht. Ich kann nur für mich sagen, dass ich kein störendes Ausmaß empfinde.

Was zwei Zeitebenen betrifft: Die sind ohnehin vorhanden. Die Frage ist zunächst, ob sie in der gleichen Zeitform stehen können. Das können sie grundsätzlich problemlos. Man kann im Präteritum oder Perfekt von zwei Ereignissen in der Vergangenheit berichten, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten stattgefunden haben. Ebenso kann das Präsens sich auf Gegenwart und Zukunft und Allgemeingültiges beziehen - selbst auf engem Raum eines Satzes.

Ich bleibe jetzt daheim und gehe lieber morgen in Ruhe einkaufen, weil der Laden schon um 6 schließt.

Der Satz enthält 3 Zeitebenen, die allesamt im Präsens wiedergegeben werden. Dennoch gibt es keine Probleme. Im Übrigen halte ich es für fraglich in einer relativen Zeitangabe bereits eine eigene Zeitebene zu sehen, nur weil sie einen zeitlichen Bezug braucht. Diese Ebene wäre dann in der alternativen Formulierung im Präteritum ebenfalls enthalten. ("Vor einem Jahr überlebte er das Attentat.") Vor allem aber ist genau das im futurischen Präsens Gang und Gäbe. "Morgen gehe ich einkaufen." Relative Zeitangaben mit Bezug auf die Gegenwart sind nicht nur möglich, sondern sogar gerade üblich, um zu verdeutlichen, dass das, was dort im Präsens steht, sich nicht auf die Gegenwart, sondern auf eine andere Zeit bezieht. Wenn das also möglich und sogar üblich ist, und auf der anderen Seite die Verwendung des Präsens für Vergangenes ebenso möglich ist wie für die Zukunft, sehe ich keinen Grund, warum das eine ("morgen gehe ich einkaufen") richtig, das andere ("vor einem Jahr überlebt er das Attentat") aber falsch sein sollte.

Es bleibt also bei meiner Einschätzung, dass es nicht falsch ist, sondern eben eine reine Geschmackssache.