korrekturen.de | Korrektorat und Lektorat

Hallo Boss,

da ist nichts weit hergeholt. Natürlich kann man auch sagen, dass man Übung in etwas hat, darum ging es hier ja nicht. Aber „Routine bedeutet Übung, nicht Erfahrung“ ist leider Quatsch.

Die bei der praktischen Arbeit auf einem bestimmten Gebiet oder durch Wiederholung einer Sache gewonnene Routine oder Kenntnis führt dazu, dass man auf diesem Gebiet (viel) Erfahrung hat. Man benutzt diesen Begriff also auch dann, wenn man nicht (weitergehende) Kenntnisse erlangt hat, sondern Routine (etwa durch häufige Wiederholung) gewonnen hat. Übung dagegen verwendet man meistens nur für (durch häufiges Wiederholen einer bestimmten Handlung erworbene) Fertigkeit in praktischen Bereichen.

Nachzulesen z. B. in: Duden - Deutsches Universalwörterbuch, Duden - Das große Wörterbuch der deutschen Sprache, Duden - das Bedeutungswörterbuch.

Ganz unabhängig von Wörterbucheinträgen wird das Wort ja in dieser Bedeutung auch häufig verwendet: Kannst Du denn überhaupt Reifen flicken? Natürlich, das habe ich jetzt bestimmt schon hundert Mal gemacht, da habe ich Erfahrung. Es ist gerade ein Wissen oder Können gemeint, das man nicht theoretisch aus Büchern, sondern in der Praxis (durch eigene Erlebnisse) bekommt: Erlebnisse, aus denen man etwas lernt, die einen routiniert machen.

Und wie ich bereits in meinem letzten Beitrag geschrieben habe, schreibt man, dass man Erfahrungen sammelt - und nicht, dass man Erfahrung sammelt. Das liegt daran, dass hier „sammeln“ auf das wiederholte Erleben von mehreren Dingen gleicher oder ähnlicher Art hinweist, diesen Prozess nennt man deshalb „Erfahrungen sammeln“. Das ist logisch, weil erst danach verfügt man dann ja über Erfahrung (im Wortsinn Kenntnis, Routine) - eben weil man (mehrere) Erfahrungen gesammelt hat. Die Mehrzahl benutzt man in dieser Wortbedeutung auch bei: Erfahrungen austauschen, schlechte Erfahrungen machen, seine Erfahrungen machen, die Erfahrungen der letzten Jahre.

Dass das nicht von selbst verständlich ist, wundert mich. Etwas weniger deutlich wird es vielleicht hier:

Dass man manchmal hört „einige Erfahrung sammeln“ kommt wohl daher, dass hier von dem Begriff „einige (viel) Erfahrung haben" oder "einiges an Erfahrung haben“ abgeleitet wird. Aber auch hier ist die Verwendung der Einzahl Erfahrung in Verbindung mit sammeln nicht logischer. Weiteres Beispiel: „... die haben ja eine große Erfahrung gesammelt auf diesem Gebiet“. Entweder hat man große Erfahrung auf einem Gebiet, oder man sammelt Erfahrungen auf einem Gebiet. Aber eine (große) Erfahrung sammelt man nicht. Man sammelt ja auch nicht große Routine oder Kenntnis und macht nicht viel Erfahrung.

Umgangssprachlich wird Erfahrung auch anders verwendet, aber in einem hochsprachlichen Text oder einem Wörterbuch wirst Du das nicht finden. Klar, im Internet findet man diese Verwendung häufig, was sie aber nicht richtig macht. Meiner Meinung nach rührt das daher, dass man gedanklich noch bei den Erfahrungen ist, diese aber mit der anderen Wortbedeutung (Erfahrung i. S. v. Kenntnis, Routine) vermischt. Wenn ich Briefmarken sammele, dann habe ich eine große Briefmarkensammlung und sammele nicht eine große Briefmarkensammlung. Auch sehr viele falsche Übersetzungen findet man:

The bachelor's degree gives graduates the possibility to gain some experience in industry.

wird auf www.linguee.de (und in vielen anderen Online-Wörterbüchern vergleichbar) falsch übersetzt mit

Der Bachelor eröffne früh die Chance, Erfahrung in der Wirtschaft zu sammeln.

Richtig wäre hier: zu erlangen. Noch mal: Ich sammele nicht ein Jahr Erfahrung, sondern in diesem (oder einem anderen Zeitraum) Erfahrungen. Wenn ich viele Erfahrungen/Erlebnisse gemacht habe, dann habe ich Erfahrung/Routine.

Dass Du hier so wortkarg hineinstolperst mag ja Deine Art sein, aber wenn Du Beiträge als weit hergeholt bezeichnest, könntest Du ja das nächste Mal verdeutlichen, wie genau Du denn darauf kommst. Man ist hier immer offen für Berichtigungen (wenn ich hier etwa falschliegen sollte) und Diskussionen, wenn sie nicht nur dem häufig falschen eigenen Sprachgefühl entspringen, sondern irgendwie belegt werden.

Viele Grüße

Ludger