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Re: dringendst?

Autor:Julian von Heyl
Datum: Mo, 17.08.2009, 18:29
Antwort auf: Re: dringendst? (Antonia)

> Mein Sprachgefühl sagte mir, dass es doch reichen müsste, wenn
> etwas dringend ist. Das noch zu steigern, finde ich
> merkwürdig.

Es gibt allerlei Merkwürdigkeiten und auch viel sprachliche Freiheit im Umgang mit Komparativen und Superlativen. Vielleicht ist folgende Lektüre für dich erhellend:

3.1 Wann sind Vergleichsformen möglich und wann nicht?

Aus rein grammatischer Sicht können von fast allen Adjektiven Vergleichsformen gebildet werden. Komparativ- und Superlativformen sind aber bei bestimmten Bedeutungsgruppen von Adjektiven zumindest dann sinnlos, wenn diese Adjektive in ihrer Grundbedeutung verwendet werden. Unüblich ist die Bildung von Vergleichsformen beispielsweise dann, wenn Adjektive Eigenschaften im Sinne von unveränderlichen Qualitäten bezeichnen:

einzig, endgültig, schriftlich, mündlich, viereckig, leblos, rund, sterblich,

oder sie bezeichnen bereits einen höchsten oder geringsten Grad:

erstklassig, entgegengesetzt, hauptsächlich, voll, vollendet, privat, individuell, extrem, maximal, minimal, total, universal, optimal.

Solche Adjektive werden trotzdem gelegentlich gesteigert, weil aus bestimmten Gründen der höchste oder geringste Grad noch verstärkt werden soll:

privateste Angelegenheit, extremste Richtung, minimalster Verschleiß, vollste Diskretion; zu meiner vollsten Zufriedenheit.

Die letztgenannte, in Arbeitszeugnissen übliche Formulierung ist - auch juristisch - besonders umstritten. Alle genannten Beispiele sollten nicht unreflektiert verwendet werden.

Anders zu beurteilen sind jedoch die Vergleichsformen der Adjektive, die an sich einen höchsten oder geringsten Grad ausdrücken (z. B. leer, still), aber in relativer Bedeutung verwendet werden können:

Das Kino ist heute leerer als gestern. In den stillsten Stunden der Nacht.

Ausgenommen von den Vergleichsformen sind ferner die Adjektivkomposita, deren Erstglied bereits eine Verstärkung bezeichnet (z. B. schneeweiß, blutjung, steinreich [ 4.2.2 und 4.2.3]), außerdem bestimmte Adjektive, die ein Negationselement enthalten (z. B. unrettbar, unverlierbar, ungelöst), Zahladjektive (z. B. letzt, einzig) und nicht flektierbare Farbadjektive (rosa, lila u. a.; Farbbezeichnungen [1]). Auch Adjektivkomposita, die einen bestimmten Farbton bezeichnen, werden gewöhnlich nicht gesteigert:

dunkelrot, hellblau, nilgrün, kaffeebraun.

Auch solche Adjektive, die nur attributiv (das hiesige Theater, der mutmaßliche Mörder) oder nur als Prädikativ (wir sind quitt) verwendet werden, können nicht gesteigert werden. Wohl aber kann man Adjektive steigern, die als Attribut bei einer Täterbezeichnung (Nomen Agentis) stehen und aus einer Artangabe hervorgegangen sind (Adjektiv [3.6]):

eine gute / eine bessere Rednerin (aus: sie redet gut / besser); die stärksten Raucher (aus: sie rauchen sehr stark).

Wenn die oben genannten, von der Bildung der Vergleichsformen ausgenommenen Adjektive jedoch in übertragener Bedeutung verwendet werden oder eine Eigenschaft (und keine Zugehörigkeit) ausdrücken, können sie Vergleichsformen bilden. Ohne Vergleichsform:

Er lag leblos da; das väterliche Fahrradgeschäft, der hölzerne Schaft.

Übertragene, eine Eigenschaft ausdrückende Bedeutung mit Vergleichsform:

Die Straße ist lebloser als gestern. Väterlicher als er konnte keiner sein. Er ist noch hölzerner als sein Bruder. Das ist schwärzester Undank! Erfolge sind nur mit eisernstem Fleiß zu erzielen.

Auch die Adjektive mit dem Präfix un- und die mit dem Suffix -los können, obgleich sie eigentlich eine nicht mehr zu steigernde Verneinung enthalten oder das Fehlen des im Stammwort Ausgedrückten bezeichnen, verschiedentlich Vergleichsformen bilden:

Er ist noch unordentlicher als du. Selbst die unempfindlichsten Menschen werden das nicht ohne Anteilnahme sehen. Die fruchtloseste Diskussion. Noch zwangloser kann es gar nicht zugehen. Lieblosere Briefe kann wohl keiner schreiben.

In dichterischer Ausdrucksweise werden gelegentlich auch die mit un- und -los gebildeten Adjektive gesteigert, z. B.: Muttermord ist weit unsühnbarer als Gattenmord (Benn). Diese Vergleichsform zeigt, dass es auch bei diesen Adjektiven verschiedene Grade geben kann. Die Vergleichsformen können die Wirkung noch erhöhen. Unmöglich sind jedoch Steigerungen von Adjektiven auf -los, die noch ganz konkrete Inhalte haben (also nicht: kinderloser, bargeldloser, obdachloser, fleischloser). Gelegentlich werden auch Vergleichsformen gewagt, wenn Adjektive, die an sich nur die Herkunft charakterisieren, als Artadjektive gebraucht werden:

Er ist der schwäbischste unter diesen Dichtern. Gleich sah sie französischer aus (Baum). Das ist die deutscheste Familie, die mir je begegnet ist.

Partizipien, die wie Adjektive verwendet werden (das gebadete Kind, die tanzenden Paare), können in den meisten Fällen nicht gesteigert werden. Eine Steigerung ist dann möglich, wenn das Partizip schon eine Eigenbedeutung gewonnen hat:

reißendere Flüsse; der blühendste Garten; ein leuchtenderes Rot.

Ohne Weiteres lassen sich Partizipien steigern, die sich vom Verb gelöst haben:

das schreiendste Unrecht, das reizendste Baby, die gelehrteste Frau, das entzückendste Paar, das begabtere von beiden Kindern.

Bei den anderen Partizipien werden die Gradunterschiede meistens durch Umschreibungen ausgedrückt, wenn die Bedeutung des Verbs dies zulässt:

der mich am meisten verdrießende Umstand; der noch mehr bietende Käufer; das meistgelesene Blatt.
© Duden - Richtiges und gutes Deutsch, 6. Aufl. Mannheim 2007 [CD-ROM]

Grüße
Julian

 

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