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Duden

Autor:Leon Lemach
Datum: Mi, 05.02.2003, 17:36

Da hier so oft über die Unfehlbarkeit des Dudens geschrieben wird, möchte ich gerne einen Brief posten. Ich bitte, das nicht als Provokation zu interpretieren sonder lediglich als Denkanstoss aufzufassen.

Offener Brief an einen preußischen Grammatiker (Friedrich Torberg, 1948)

Betr. „ö“ und „r. d.“

Sehr geehrter Herr!

In einer kürzlich an ein hiesiges Wochenblatt* gerichteten Zuschrift beschäftigen Sie sich mit einem vom österreichischen Unterrichtsministerium geplanten Wörterbuch, das an Stelle des Duden eingeführt werden soll und das bestimmte preußische Sprachgebräuche, laut Duden die einzig richtigen, nicht länger gelten lassen will; vielmehr wird es sie durch ein eingeklammertes „r. d.“ als reichsdeutsche Abweichung kenntlich machen und sie damit auf jene bedingte Zulässigkeit reduzieren, die der Duden vermittels eines eingeklammerten „ö“ den in Österreich üblichen Formen bewilligt.

Über diesen Akt, der die Eigenwüchsigkeit Österreichs nun auch im Sprachlichen zu legitimieren plant, lässt sich ganz gewiss diskutieren – aber ganz gewiss nicht mit Ihnen. Den Ihnen, sehr geehrter Herr, geht dieser Akt dergestalt wider die preußische Natur, dass Sie ihn glattweg als „unverschämt“ bezeichnen, wobei zu vermuten ist, dass Sie das nicht ö., sondern r. d. aussprechen, also nicht „unverschämt“ sagen, sondern „unverschämt“.

Auch sonst ist man bei der Lektüre Ihres „Offenen Briefes“ vielfach auf Vermutungen angewiesen. Man merkt zum Beispiel nicht sogleich, dass die „tiefe Genugtuung“, mit der Sie die Schaffung eines österreichischen Wörterbuchs eingangs begrüßen, von Ihnen als Witz respektive Scherz gemeint ist, ja wohl gar als Ironie. Erst wenn Sie im weiteren Verlauf Ihres Briefes von einer „schmählichen Bevormundung des österreichischen Schrifttums durch Lessing“ sprechen oder wenn Sie „gehört“ haben wollen, dass das Österreichische Unterrichtsministerium „bereits eine amtliche Übersetzung der Werke Hölderlins, Kants und Thomas Manns ins Österreichische“ beschlossen hätte, wird der Leser allmählich des sonnigen preußischen Humors gewahr, der Ihre gesamten Ausführungen überglänzt wie ein Hosenboden das Gesäß. Ob hingegen Ihre „Hoffnung“ das künftig „die österreichischen Staatsmänner sich nicht wie bisher im Jodeln“ ausdrücken würden, noch eine Ironie darstellt oder schon eine Unverschämtheit, ist nicht mehr ganz klar. Es ist beinahe so unklar wie der folgende Satz aus Ihrem Brief:

Als Berliner und Preuße, der seine Emigration immer vor allem als Refugium der deutschen Sprache aufgefasst hat, nun in Verteidigung der Vorzüge des Deutschen die erwarteten „sachlichen und scharfen Argumente“ zu liefern, muss ich mir, übermannt von der Freude des Aufatmens über eine klare linguistische Separation, freilich versagen.

Ich meinerseits, übermannt von der Freude des Aufatmens, dass dieser Satz zu Ende gegangen ist, muss mir freilich versagen, ihm auf den Grund zu kommen. Mit Sicherheit entnehme ich ihm nur, dass Sie Berliner und Preuße sind – ein Einbekenntnis, dessen bewundernswerter Freimut an jenen Zugpassagier gemahnt, dem sein Coupégefährte am Schluss einer angeregt verlaufenen Reise das Geständnis macht, dass er Jude sei, und der darauf mit den Worten reagiert: „Vertrauen gegen Vertrauen – ich hab’ einen Buckel.“

Sie also, sehr geehrter Herr, sind Berliner und Preuße, und sind infolgedessen unbedingt und unter allen Umständen, ja geradezu immer und vor allem, für das preußische Partizip, in welchem man nicht gestanden, gesessen oder gelegen ist, sondern gestanden, gesessen oder gelegen hat. Ich weiß sehr wohl, dass diese Formen in Berlin üblich sind, denn ich war seinerzeit oft genug dort – nicht, wie Sie sagen würden, „da“, denn wenn ein Österreicher „da“ sagt, meint er „hier“, nicht „dort“; und ich möchte auch ganz gern wieder einmal hinkommen – nicht, wie Sie sagen würden, „vorbei“, denn wenn ein Österreicher „vorbeikommen“ sagt, meint er „vorübergehen“, und das mit Recht, besonders im Fall Berlins. Indessen, und wie immer dem sei, würde weder ich noch sonst ein vom Duden-Hass Besessener Ihnen, sehr geehrter Herr, verwehren, irgendwo gelegen, gesessen oder gestanden zu haben, und wenn Ihnen das einen sprachlichen Vorsprung vor mir einräumt, so werde ich schon deshalb nicht versuchen, Sie einzuholen, weil „einholen“ bei Ihnen doch etwas ganz anderes bedeutet, und weil Sie dann vielleicht glauben würden, dass ich Sie einkaufen will, und das will ich nicht.

Wir könnten uns also getrost voneinander verabschieden und könnten einander laufen lassen (wobei Sie unter „laufen“ abermals etwas anderes verstünden als ich, nämlich „gehen“), wären Sie nur nicht so unvorsichtig gewesen, zur Festigung eines Standpunktes, auf dem Sie ja schließlich seit jeher gestanden haben, einige Autoren heranzuziehen, an deren Zeugenschaft Ihnen, als Berliner und Preuße, selbst dann nichts gelegen haben sollte, wenn diese Autoren mit Ihnen auf einer Sprachschulbank gesessen hätten und nicht, als Wiener und Österreicher, auf ihrer eigenen gesessen wären.

Sie berufen sich – und das, sehr geehrter Herr, hätten Sie nicht tun sollen – auf Daniel Spitzer, Karl Kraus und Alfred Polgar; auf Daniel Spitzer, der in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts ein Feuilleton über Ihre Geburtsstadt mit dem Satz begann: „Außer ihren 800 000 Einwohnern verfügt die Stadt Berlin über keinerlei Merkwürdigkeiten“; auf Karl Kraus, der sich in der Alternative zwischen Spree und Donau immer noch – um nicht zu sagen: allemal – für die Donau entschieden hat; und auf Alfred Polgar, bei dem selbst Sie sich genötigt finden, von „mehr ironischen Austriazismen“ ausdrücklich und nachsichtig „abzusehen“.

Sie berufen sich da, sehr geehrter Herr, auf drei Autoren, in deren gesamtem Werk die Form „gestanden hat“, niemals gestanden ist, und ich fürchte, dass kein noch so ironischer Prussianismus Sie davor bewahren wird,, gerade in dieser Berufungsinstanz Ihren Prozess gründlich und endgültig zu verlieren.

Und dann wird hoffentlich Ruh’ sein: wenn Sie und die übrigen angriffslustigen Verfechter der preußischen Grammatik vor einem Sprachgerichtshof gestanden sind – und gestanden haben, dass sie nicht Deutsch können.

* „Aufbau“, New York

 

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