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«Transmann» – Begründung der Zusammenschreibung

Autor:Ivan Panchenko -
Datum: Mi, 29.12.2021, 00:02

Im Englischen wird trans woman oft getrennt geschrieben. Die Zusammenschreibung transwoman kommt ebenfalls vor, wird jedoch kritisiert, da sie auch von einigen «genderkritischen» Feministinnen aufgrund dessen, dass sie Transfrauen nicht als Frauen anerkennen, verwendet wird (so ähnlich wie Sonderbehandlung einigen Leuten durch den Nationalsozialismus zu vorbelastet ist, auch wenn das Wort per se schlicht so viel wie besondere Behandlung heißt und sich nicht auf Ermordung beziehen muss).

Kurioserweise stoßen selbst die deutschen Schreibweisen Transmann und Transfrau auf Ablehnung vonseiten der Trans-Community, obwohl im Deutschen für Komposita Zusammenschreibung gilt, während sie im Englischen besonderen Fällen vorbehalten ist. Linus Giese schreibt:

Niemand käme auf die Idee [sic; Komma fehlt] von einem Supervortrag, einem Lilahemd oder einer Orangenkatze zu sprechen – aus genau denselben Gründen heißt es auch nicht Transfrau oder Transmann, sondern trans Frau, trans Mann, trans Mensch oder trans Person.

[…]

Wer von Transmännern oder Trans-Männern spricht, reduziert diese Männer sprachlich darauf, dass sie trans sind. Als wären sie eine Art Sondergattung, eine Extrakategorie. Noch schlimmer ist es, wenn in Medien von «den Transgendern» gesprochen wird.

Richtig ist, dass es Adjektive gibt, die attributiv ohne Deklinationsendung verwendet werden. Bei trendy lässt sich dies damit erklären, dass das Wort auf einen unbetonten Vollvokal endet, wobei lila umgangssprachlich oft mit eingeschobenem n dekliniert wird (lilanes Kleid). Das französische Adjektiv orange leitet sich von einem Substantiv ab und kann im Deutschen daher undekliniert bleiben (von einer orange Katze), wobei auch Deklination möglich ist (in Linus Gieses Beispiel liegt in Wirklichkeit die Deklinationsendung -en vor: einer orangen Katze). Daneben gibt es das Wort orangen mit dem Ableitungssuffix -en (wie in golden), welches normal dekliniert wird – eine orangene Katze. Das Wort super bedeutet im Lateinischen ‘(dar)über’ und wurde im Deutschen zunächst als Kompositionsglied benutzt – Supervortrag ist nicht wie Supermarkt lexikalisiert, lässt sich aber ad hoc bilden –, in der Umgangssprache hat es sich zu einem Adjektiv verselbständigt (super Vortrag mit Hauptbetonung auf Vortrag; «Der Vortrag war super!»). Bildungen der Art Scheißschule, wo Scheiß- anders als in scheißegal nicht intensivierend gebraucht wird, kenne ich mit Hauptbetonung auf dem Grundwort, wenngleich ich im Duden kein entsprechendes Beispiel finde (Scheißkerl ist mit Betonung auf der ersten Silbe verzeichnet, in Scheißangst ist Scheiß- verstärkend). Für Zusammenschreibung spricht, dass scheiß nicht als prädikatives oder adverbiales Adjektiv gebraucht wird (man sagt nicht «Das ist sehr scheiß!» statt «Das ist sehr scheiße!»). Eine Hauptbetonung auf dem Grundwort haben wir auch bei zuckersüß, Jahrhundert und Donnerwetter!, das reicht nicht aus, um Getrenntschreibung zu begründen.

Nun gibt es auch Adjektive, bei denen wir auf attributiven Gebrauch verzichten. Hierzu gehören Kurzwörter wie bio und hetero. Analog verhält es sich eben mit trans und inter. Man kann «Das ist bio» und «Ich bin hetero» sagen, jedoch heißt es Biogemüse und Heteromänner statt bio Gemüse und hetero Männer. Im Englischen finden sich Belege für openly trans man (mit dem Adverb openly anstelle des Adjektivs open), aber wer würde schon in deutscher Sprache offen trans Mann sagen? Mündlich habe ich von Linus Giese in der Tat eine Hauptbetonung auf trans vernommen.

Das Zweitglied von englisch transgender (früher auch mit Bindestrich: trans-gender) und intersex ist eigentlich ein Substantiv. Es liegt nahe, im Deutschen Komposita zu bilden: Open-Source-Software statt open-source Software (in mehrteiligen Fügungen aus anderen Sprachen, die als Ganzes die Funktion eines Substantivs haben, werden der erste Teil und substantivische Bestandteile großgeschrieben, zum Beispiel Ultima Ratio). Wie sieht es mit prädikativem Gebrauch aus? Im Duden findet sich die Schreibweise first class (statt First Class), übrigens auch business as usual (statt Business as usual). Da man «Das Hotel war erste Klasse» sagen kann, wäre «Das Hotel war First Class» meines Erachtens nicht so abwegig, etwas anderes sind Fälle der Art «This software is open source» («Diese Software ist offene Quelle»??). Von der Zusammenschreibung opensource (analog zu Desktoppublishing/Desktop-Publishing trotz englisch desktop publishing) würde ich absehen, denn es steht ja immer noch open als Attribut zu (hauptbetontem!) source und mit dem Leerzeichen im Englischen ist wohl auch keine Zusammenrückung anzunehmen. Dennoch könnte man wohl sagen, dass die Fügung hier keine substantivische, sondern adverbiale Funktion hat, und daher (entgegen einem früheren Vorschlag von mir) «Diese Software ist open source» schreiben. Die Fügung transgender man lässt sich wörtlich mit Jenseitsgeschlechtsmann übersetzen, wir haben also auch hier die Struktur eines Kompositums, entsprechend heißt es zwar transgender sein, aber Transgenderperson, Transgendermann etc.

Im Online-Duden ist Transmann verzeichnet, andererseits findet sich im Eintrag transgender das Beispiel transgender Personen, Lebensweisen. Im DWDS steht dagegen: «Vor allem in der Gruppe der Transgender wird transgender auch als attributives Adjektiv aufgefasst und entsprechend geschrieben (z. B. transgender Personen). Diese Schreibung entspricht nicht den deutschen Rechtschreibregeln.»

Natürlich könnte man jetzt aus politischen Gründen trans und transgender als attributive Adjektive einführen und zum Beispiel transgender Frau mit Hauptbetonung auf Frau sagen, so wie aus super ein attributiv verwendbares Adjektiv wurde. WENN man das tut, DANN funktioniert die Getrenntschreibung. Dieser Beitrag soll vielmehr aufzeigen, dass unabhängig von Gedankengängen à la «Das ist eine Sondergattung» eine grammatikalische Motivation für die Zusammenschreibung besteht. Ebenso sind zum Beispiel der Feuerwehrberuf und das weibliche Geschlecht mit Feuerwehrfrau (statt feuerwehr Frau) in einem einzelnen Wort verpackt. Eine Ausweichmöglichkeit ist trans(gender) lebender Mann.

Ohne die Möglichkeit des attributiven Gebrauchs funktioniert auch kein substantivierter Gebrauch, nach meinem Sprachgefühl geht das nicht einmal mit indeklinablen Adjektiven, die attributiv verwendbar sind: «Du bist vielleicht ein Hübscher» ist in Ordnung, aber «Du bist ein Prima»?? «Er zeichnete einen roten Strich und einen rosa»?? Allerdings kennt das Englische eine Konversion (a transgender, transgenders) und diese wurde ins Deutsche entlehnt: der/die Transgender. Die movierte Form Transgenderin, wie im Kurier verwendet («Olympia: Erste Transgenderin konnte nur das Gewicht nicht stemmen»), ist damit nicht nötig. Dass einige Transleute ein Problem damit haben, mit dem Substantiv Transgender bezeichnet zu werden, mag daran liegen, dass es nach einer Bezeichnung eines Genders selbst statt einer Person aussieht.

Noch vor trans(-)gender wurde im Englischen transgenderal verwendet, was aber heutzutage selten ist und bei Unkundigen zum Einwand führen könnte, das Suffix -al ergebe keinen Sinn, weil die Derivationsbasis bereits ein Adjektiv sei. Dann gibt es noch transgendered, was wiederum als politisch inkorrekt gilt. Das -ed ist formal einwandfrei, vgl. Language Log (uninhabited passt hier jedoch nicht Beispiel, denn dieses Wort ist ja aus inhabited aufgebaut, was zum Verb to inhabit gehört), es könnte aber auch einfach der Unmissverständlichkeit halber auf transgender bestanden werden – dass es für blue-eyed keiner künstlichen Blaufärbung des Auges bedarf, ist ja klar, aber nicht allen ist die Transgender-Thematik vertraut.

Im Deutschen werden trans und cis eigentlich mit [a] und [t͡s] (statt englisch) ausgesprochen, sodass für die Schreibweise zisgender (hat das DWDS als alternative Schreibung, Duden online gar nicht) argumentiert werden könnte, vgl. Konverter und Rekorder. Andererseits sieht zisgender nach einem Deutsch-Englisch-Mischmasch aus (der Teil -gender kann ja auch mit dsch-Laut gesprochen werden), hingegen könnte man sagen, dass cisgender vollständig aus dem Englischen entlehnt ist und einfach unter deutschem Einfluss ausgesprochen wird (so wie Action anders als im Englischen mit tsch-Laut ausgesprochen werden kann). Daher: zissexuell, aber cisgendercis* umfasst als umbrella term das Wort zissexuell nicht in der Schreibweise mit z, aber wir können uns hier auf das Englische berufen (cissexual).

 

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Ivan Panchenko - -- Mi, 29.12.2021, 00:02
Re: «Transmann» – Begründung der Zusammenschreibung
Julian von Heyl -- Mi, 29.12.2021, 19:58