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https://grammis.ids-mannheim.de/systematische-grammatik/1552
Die Verwendung des Konjunktiv Präsens (könne, müsse) entspricht der üblichen Funktion dieser Form als indirekte Redewiedergabe. Die Formen des Konjunktiv Präteritum werden hingegen nicht wie üblicherweise zur Indizierung von Nicht-Faktizität gebraucht - diese ist mit der epistemischen Verwendung ohnehin schon gesetzt -, sondern zu einer Abschwächung im Ausdruck von Wahrscheinlichkeiten:
Sie kann/könnte meinen Informationen nach an der Sitzung teilgenommen haben.
Sie muss/müsste meinen Informationen nach an der Sitzung teilgenommen haben.
Daneben wird der Konjunktiv Präteritum im epistemischen Gebrauch auch wie üblich zur Redewiedergabe gebraucht:
Der Vorsitzende sagte, sie müsse/müsste seinen Informationen nach an der Sitzung teilgenommen haben.
Bevorzugte Deutung bei bestimmten Infinitiven
Bei Verbindungen mit bestimmten Infinitiven liegt die epistemische Verwendungsweise des Modalverbs näher als andere Verwendungsweisen. Dies ist der Fall
bei einem Infinitiv Perfekt
(1) Er muss einige Jahre im Krankenhaus gearbeitet haben.
bei Progressivformen
(2) Sie muss am Nachdenken sein.
bei Zustandsprädikationen
(3) Sie muss ihn kennen.
Die Bevorzugung einer bestimmten Deutung korreliert hier mit den semantischen Spezifika der Verwendungsweisen: In epistemischer Verwendungsweise gründen sich die Vermutungen eines Sprechers am verlässlichsten auf das, was bereits der Fall sein oder gewesen sein "müsste". Eine nicht-epistemische Deutung liegt hingegen etwa dann nahe, wenn der Infinitiv eine noch nicht abgeschlossene Handlung oder Tätigkeit bezeichnet:
(2a) Sie muss nachdenken.
(3a) Sie muss ihn kennen lernen.
Einschränkungen in der syntaktischen Funktion
Epistemisch verwendete Modalverben sind strikt auf die Funktion als äußerster Operator innerhalb eines Verbalkomplexes beschränkt (vgl. Rekursive Anwendung). Somit ist epistemische Deutung ausgeschlossen bei:
Rektion eines Akkusativkomplementes
Er will eine Zeitung.
Rektion eines Adverbiales
Er muss weg.
Nominalisierung
Das (Helfen-)Wollen nützt nichts, Können muss hinzukommen.
Grammatikalisierungstendenz
Aufgrund ihrer Besonderheiten kann die epistemische Verwendungsweise als stärker grammatikalisiert von den übrigen Verwendungsweisen abgehoben werden:
Epistemisch gebrauchte Modalverben sind in ihrer formalen und funktionalen Variabilität vergleichsweise stärker eingeschränkt, insbesondere ist die Systematik des Formenparadigmas teilweise außer Kraft gesetzt. Somit gibt es Übereinstimmungen mit den Hilfsverben, bei denen sein, haben und werden I (Futurperiphrase) ebenfalls nicht das gesamte Formenparadigma in die Bildung von Verbalperiphrasen einbringen. Verbalkomplexe mit epistemisch verwendeten Modalverben stehen daher Verbalperiphrasen, die Teile des Verbalparadigmas sind, nahe. Modalverben sind dazu geeignet, das System der Verbmodi systematisch zu ergänzen und zu entlasten, indem sie Ausdrücke für Potentialität bereitstellen. Der Konjunktiv Präteritum erlaubt nämlich alleine nur den Ausdruck von Potentialität und Irrealität, ohne zwischen den beiden zu unterscheiden. Gegen die Integration der epistemisch gebrauchten Modalverben in das Verbalparadigma spricht allerdings die Vielfalt und semantische Differenziertheit von epistemischen Modalitätsausdrücken.
Die folgende Tabelle zeigt, in welchen Umgebungen die häufigsten epistemischen Modalverben im Deutschen, kann , muss , dürfte , mögen, in Korpora belegt sind (ja) oder ungrammatische Urteile liefern (nein). Der untere Teil verweist auf Klassifizierungen verschiedener Autoren, welche dieser epistemischen Modalverben eine objektive epistemische Interpretation haben und welche nur auf die subjektive epistemische Modalität beschränkt sind. [ 13 ]
Deutsche epistemische Modalverben in nichtkanonischen Umgebungen
(Ausschnitt aus der Tabelle)
Umfeld Könnte
faktischer Komplementsatz Ja
Kausalsatz Ja
Zeitklausel Ja
ereignisbezogener Konditionalsatz Ja
Negation NEIN
Fragen zur Informationssuche Ja
Quantifizierer Ja
Infinitiv ?
Öhlschläger (1989:207), Deutsch
Diewald (1999:82-84,274), Deutsch nur subjektiv
Huitink (2008a), Niederländisch
https://grammis.ids-mannheim.de/kontrastive-grammatik/3363