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Immer da

Autor:Dirk
Datum: Sa, 01.06.2013, 23:08

Hallo,

für Korrekturvorschläge bin ich dankbar.

Vielen Dank
und viele Grüße

Dirk

Text:
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Immer da

Der folgsame Schüler Đe Ghê berichtete seinem Meister, was ihm am Morgen widerfuhr: „Ehrwürdiger Meister, heute Morgen sah ich einen Mann mit seinem Kind am Brunnen sitzen. Der kleine Junge blickte neugierig in die Luft, zählte die Vögel auf dem Dorfplatz und träumte mit offenen Augen hinüber zu den Nebelfeldern am Fuße der Weißen Berge. Nach einer Weile nahm der Sohn aus dem Korb des Vaters eine Kirsche, ließ diese in den Brunnen gleiten und schaute dem tiefen Fall der Frucht freudig hinterher. Daraufhin zog der Vater einen Schuh vom Fuße und holte zum Schlag aus. So schnell es ging schritt ich ein und hielt den Arm des Mannes zurück, um ihn davon abzuhalten, Gewalt anzutun. Das Kind weinte von Schmerz erfüllt, und der Vater ließ mich seine Verbitterung in Wort und Blick deutlich spüren. Ich war sehr wütend in jenem Moment und hegte einen zornigen Groll gegen den Tobsüchtigen. Ich tröstete das Kind und gab ihm von den Früchten, die ich auf Euer Geheiß hin zuvor besorgt hatte. Nachdem der Junge ruhiger wurde, ließ ich ihn mit seinem Vater zurück, jedoch mit dem anhaltenden Gefühl von Unvollkommenheit in mir. Dies ist es nun, was mein Gemüt noch immer beschwert. Bitte sagt mir, mein ehrwürdiger Lehrer: Was ist zu tun?“

Daraufhin sprach der Meister mit einem Ausdruck von sanfter Güte im Blick: „Liebe ist Erlösung von jeglichem Schmerz. Die Anwesenheit von Liebe ist stets gegeben, und Liebe weist von sich aus immer der Friedfertigkeit den Weg. Dass der Vater seinen Sohn schlug, bedeutet nicht, dass er ihn nicht liebt. Doch versteht der Mann nicht, aus welchen Gründen auch immer, dass das, was er gibt, er sogleich empfängt. Wenn er seinen Sohn bestraft, so bestraft er gleichfalls dadurch sich selbst. Belohnt er sein Kind mit liebevoller Geste, so belohnt sich der Gebende ebenso selbst. So ist es, dass er empfängt, was er gibt.“

Weiter fuhr der Meister fort: „So frage ich dich, mein geliebter Schüler: Wenn du Groll gegen jemanden hegst, was erhältst du dadurch für dich selbst zurück? Wie leicht geschieht es nur allzu oft, dass Wut sich mit Wut arrangiert? Wisse: Du hast vollkommen richtig entschieden, den Vater vom Schlagen abzuhalten. Doch rate ich dir: Spiegele nicht den Zorn eines Menschen, indem du deinen eigenen Groll auf ihn legst – denn so bestärkst du lediglich die blinde Wut, deren Wirken du im Eigentlichen zu verhindern wünschtest. Sag, ist es nicht so? Verstehe: Um die Widerspiegelung von Zorn im Zorn und von Gewalt in Gewalt zu beenden, bedarf es vor allem der Vergebung und Güte.
Vergib, was jemand getan hat, der in schwachen Momenten nicht dem Ruf der Liebe folgt. Weder urteile über jemanden mit dem Wunsch nach Vergeltung in dir, noch richte einen Menschen mit dem Gefühl von Groll in deiner Brust. Frage dich in solchen Momenten der inneren Aufruhr: Was möchte die Liebe jedem stets bringen? So ist es, dass aus Harmonie ein Frieden erwächst, und aus dem Frieden sprießen Freude und Glück. Lass dich dabei von einer ruhigen und friedvollen Haltung leiten, um der Gewalt mit dem Gebot besänftigendem Einhalts und dem Zorn mit zärtlicher Güte Antwort zu geben. So ergibt es sich, dass wir einen glücklichen Ausweg finden können aus der weltlichen Spiegelung der Schuld, die sich in sich selbst reflektiert. Wenn du dem Vater durch dein liebevolles Gemüt offenbarst, dass sich niemand deiner Vergebung voll und ganz entziehen kann, weil wahrhafte Liebe dein Herz erfüllt, dann wird auch er nicht umhin können, dass das, was er empfängt, er anderen wiederum gibt. Beharre nicht auf ein Konzept der Schuld, sondern führe die Menschen mit steter Güte zur Liebe. Von innen fließt sie nach außen, und von außen fließt sie nach innen. Sperre dich nicht gegen den ständigen Fluss der Liebe, so wirst du glücklich, da du weißt: Der Strom der Liebe fließt ewig und ihre Quelle, die jenseits aller Gedanken liegt, versiegt nie. Wenn du gewillt bist, daraus zu schöpfen, um dir und anderen davon zu reichen, so wird die Liebe immer bei dir sein, auf dass du sie gibst. So wandelt sich die Unvollkommenheit hin zur Vollkommenheit.“

Der junge Đe Ghê verstand die Worte des Meisters sehr wohl, bedankte sich in einer wertschätzenden Verbeugung und erhob sich, um daraufhin der gemeinschaftlichen Meditation im Großen Saal des heiligen Tempels beizuwohnen.
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Immer da
Dirk -- Sa, 1.6.2013, 23:08
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oberhaenslir -- So, 2.6.2013, 08:26
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Dirk -- So, 2.6.2013, 08:40
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Kai -- So, 2.6.2013, 13:15
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Sarah -- So, 2.6.2013, 14:57