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Re: Neuen/neues

Autor:Jesse
Datum: Mi, 01.03.2017, 19:53
Antwort auf: Neuen/neues (Phil)

Jemand Neuen ist nicht falsch. Es gibt hier sogar vier standardsprachlich korrekte Formen:
- jemand Neues
- jemand Neuen
- jemanden Neues
- jemanden Neuen

Das ist das Ergebnis Jahrhunderte langer sprachlicher Unsicherheit, die sich letztlich bis heute fortsetzt.

Die Erklärung für jemand/jemanden ist recht einfach, weswegen ich die kurz vorher einfügen möchte. Das liegt am -d am Ende, das erst später dazukommt. (Solche Lauteinschübe und -anhänge gibt es historisch häufig, da sie die Aussprache erleichtern.) Das Wort heißt eigentlich (übrigens auch ein Fall eines entsprechenden Einschubs, ursprünglich: eigenlich): jeman (ieman), aus je- und man(n); ähnlich jedermann. Da gibt es keine Deklinationsendung. Ja auch heute noch: Ich suche einen Mann (nicht: einen Mannen). Durch das eingeschobene -d verblasst über lange Zeit die ursprüngliche Form und man beginnt damit, Deklinationsendungen anzuhängen, weil man irgendwie das Gefühl hat, da fehlte etwas. Und noch heute gibt es Leute, die das Gefühl haben, die Formen mit Endung klängen korrekter. Mehr ist schließlich mehr. Die Formen ohne Endung sind bestimmt Faulheit oder Umgangssprache. Das ist einfach eine Überkorrektur, die über lange Zeit so häufig gemacht wurde, dass sie mittlerweile standardsprachlich ebenfalls korrekt ist.

Bei dem -s am Ende ist es nun ganz ähnlich, was die Begründung für die Existenz von zwei unterschiedlichen Formen (und die regionale Präferenz) heute betrifft. Allerdings ist die Entwicklung deutlich komplizierter und es gibt keine eindeutige ursprüngliche Form. In den ältesten Belegen findet man vor allem männliche Formen, dann aber lange Zeit vor dem Neuhochdeutschen scheinbar sächliche Formen. Es handelt sich aber gar nicht um sächliche Formen, sondern vielmehr um Genitivformen im Plural. Im Genitiv haben wir ja heute noch häufig die -s-Endungen. Diese Genitiv-Plural-Formen von Adjektiven sterben aber vor etwa 500 Jahren praktisch komplett aus, tauchen aber bald bei jemand scheinbar wieder auf. Der genaue Hintergrund ist nicht klar. Die häufigste Theorie geht auf die Formen "jemand and(e)res"/"jemand anders" zurück. "Jemand anders" gibt es auch nach dem Aussterben der Genitiv-Plural-Formen noch, da "anders" keine solche Form ist, sondern einfach ein Adverb. Eine Annahme ist, dass die Adjektive parallel dazu gebildet wurden. Jedenfalls ist klar, dass sie nunmehr als sächliche Formen verstanden wurden, nicht mehr als Genitivformen, die zu diesem Zeitpunkt so nicht mehr bekannt waren. "Jemand Neues" ist dann die gängige Form des Neuhochdeutschen.

Was danach passiert ist wiederum Unsicherheit und Überkorrektur. Ironischerweise eher im süddeutschen Raum, der ja eigentlich der Ursprung des Hochdeutschen ist. Dort setzt sich das einheitliche Neuhochdeutsche langsamer durch. Dadurch entstehen Unsicherheiten. Eine solche führt zur Überkorrektur der sächlichen Formen wie "jemand Neues". Deswegen findet man heute noch im Süden häufiger "jemand Neuen" als im Norden. Dazu kommen später bis heute weitere Überkorrekturen von Leuten, die Formen mit gewohnten Deklinationsendungen als korrekter empfinden. Wir haben also eine ganz ursprüngliche -en-Endung, die durch eine-s-Endung ersetzt wird, die ein Genitiv ist, der aber ausstirbt, die sich dann als sächliche -s-Endung im Neuhochdeutschen neu durchsetzt, um später durch sprachliche Unsicherheiten teilweise und regional wieder zur en-Endung überkorrigiert zu werden.

Und da stehen wir heute; und können einfach von den vier standardsprachlich korrekten Formen die wählen, die uns am besten gefällt. Manche variieren und differenzieren sogar und verwenden "jemand Neues", wenn es ganz abstrakt um jemand Neues geht, aber "jemand Neuen", wenn es um einen konkreteren Neuen geht.

Es gibt also zwei Antworten auf die Frage, warum man "jemand Neues" sagt. Erstens: weil es die neuhochdeutsch ursprünglich korrekte Form ist. Zweitens: weil es von den vier korrekten Formen die ist, die einem am besten gefällt.

 

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