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Re: Zeitform

Autor:Pumene
Datum: Mi, 13.12.2023, 18:50
Antwort auf: Zeitform (Viktor)

> um welche Zeitform handelt es sich hierbei?
> 1. Die Rakete ist gerade gestartet.

Die wahrscheinlich richtige Antwort:

Vollendete Gegenwart oder Perfekt

https://www.studienkreis.de/deutsch/bildung-vollendete-gegenwart-verwendung/#:~:text=Die%20vollendete%20Gegenwart%2C%20in%20der,Dinge%2C%20die%20du%20erlebt%20hast.

Die vollendete Gegenwart/das Perfekt [= das „Vollendete“] wird im mündlichen Sprachgebrauch (für die meisten Verben) für die Vergangenheit benutzt, im schriftlichen wird dafür eher die einfache Vergangenheit/das Präteritum (früher auch: das Imperfekt [= das „Unvollendete“] genannt) verwendet. Die Verwendung des Perfekts im mündlichen Sprachgebrauch für die Vergangenheit für die Vollverben (bei den Hilfsverben und Modalverben ist dies anders) hat sich von Süddeutschland aus über das gesamte deutsche Sprachgebiet ausgebreitet.

Da „Lars Springseil“ der Antwort „Perfekt …“ noch ein „was sonst?“ hinzugefügt hat, habe ich mir auch noch Gedanken gemacht, „was“ es „sonst“ sein könnte.

Das deutsche Perfekt wird mit Hilfsverb (haben oder sein) plus unflexierbarem sogenannten Partizip II gebildet. (Der Ausdruck „Partizip“ (Mittelwort; es „partizipiert an der Wortart „Eigenschaftswort (Adjektiv) und „Tätigkeitswort/Tuwort“ (Verb)) trifft hier wenig, in einer anderen Sprache (Schwedisch) wird hierfür ein eigener Fachausdruck (Supin/Supinum*) verwendet.)

Mit dem Partizip II (Partizip Perfekt „Passiv“) werden auch alle Zeiten im Passiv gebildet, mit dem unflexierbaren „Partizip II“ plus Hilfverb „werden“ das Vorgangspassiv, mit dem „echten“ Partizip II plus sein das sogenannte Zustandspassiv, üblich ist dieses hauptsächlich im Präsens, Präteritum und einfachen Futur.

Die Formen des Zustandspassiv Präsens klingen ganz ähnlich wie die Formen des Vorgangspassiv im Perfekt usw., nur dass das Wort „worden“ fehlt. (Vorgangspassiv im Perfekt wird mit „bin … worden“, „bist … worden“ usw. gebildet, im eher in diesen Zeitstufen wenig gebräuchlichen Zustandspassiv ist die Bildung „bin … gewesen“, „bist … gewesen“ usw.)
Im Zustandspassiv ist das Partizip II ein „echtes“ Partizip, flexierbar, steigerbar usw. und nicht ein unflexierbares „Supinum“.

Für „haben“ plus (unflexierbares) Partizp II gibt es keine Schwierigkeiten, es muss Perfekt Aktiv sein.

Für „sein“ plus Partizip II muss man überlegen:

Die synthetischen Zeitbildungen mit „sein“ plus „Partizip II“ können entweder

Perfekt Aktiv (für bestimmte Verben, die nicht das Hilfsverb „haben“ verwenden)

oder

Präsens Zustandspassiv

sein.

Für die meisten Verben ist es klar und eindeutig, welche dieser beiden Möglichen vorliegt.

Für Verben, die sowohl eine transitive wie auch eine intransitive Bedeutung haben, kann es Zweifelsfälle geben.

Beim „Vorgangspassiv“ ist es eindeutig (Hilfsverb „werden“), wenn es „Zustandspassiv“-Formen (Hilfsverb „sein“) geben sollte, könnte man überlegen, ob „sein + Partizip“ statt Perfekt Aktiv auch so etwas sein könnte.

Ich halte „Die Rakete ist gerade gestartet“ eher für einen Vorgang als für einen Zustand und würde das intransitive Starten und Zeitform Perfekt vorschlagen.
Für mich ist „Gestartet-Sein“ kein Zustand, so dass ich die Alternative zum Perfekt Aktiv, nämlich Präsens Zustandspassiv eher für unwahrscheinlich halte. Man startet die Rakete ——> die Rakete wird gestartet und nicht ——> die Rakete ist gestartet. (Hier wäre das transitive „Starten“ gemeint.)

Noch eine kleine Ergänzung:

https://de.wikipedia.org/wiki/Labiles_Verb

Zitat

Ein labiles Verb ist ein Verb mit zwei syntaktischen Verwendungsweisen: transitiv (mit Subjekt und Objekt) und intransitiv, wobei das intransitive Subjekt dem transitiven Objekt entspricht.[1] Die intransitive Variante ist dann genauer gesagt ein unakkusativisches Verb.

Zitatende

https://de.wikipedia.org/wiki/Unakkusativisches_Verb

Zitat

Unter den intransitiven Verben gibt es jedoch eine Gruppe von Verben, die Ausnahmen bilden (so dass die Bezeichnung „Partizip Perfekt Passiv“ hier nicht mehr zutreffend ist):

der eingeschlafene Hund – „der Hund“ = x aus: x schläft ein
die eingetroffene Post – „die Post“ = x aus: x trifft ein
das verrostete Scharnier – „das Scharnier“ = x aus: x verrostet

Zitatende

Wenn also die intransitive Variante des „labilen Verbs“ ein unakkusativisches Verb ist, ist das Partizip II kein Partizip Perfekt Passiv, sondern Aktiv.

Eine gestartete Rakete ist also auch, wenn das intransitive Starten gemeint ist, eine Rakete, die gestartet ist.

* Supin/Supinum im Deutschen
Das Wort Supin/Supinum wird für eine infinite Verbform in Abgrenzung zum Partizip II benutzt.

Der Philologe Gunnar Bech verwendet den Begriff „Supin“ auch für das verbale Partizip II im Deutschen.[4]

Im Schwäbischen Magazin von gelehrten Sachen zum Jahr 1776[5] liest man:

Dasjenige Wort, welches ich Supinum nenne, ist freilich von der Syntaxe nach dem lateinischen Supino weit unterschieden; der Formation nach aber demselben desto ähnlicher, massen das Participium praeteriti unmittelbar ja ausser Motion und Deklination ohne weitere Veränderung daraus gemacht ist. Doch es ist nicht das Participium selbst, weil es viele Verba gibt, die das Supinum, und doch kein Participium praeteriti haben. Gehuret, gehustet, gelebet, geschlafen u.d.g. sind keine Participii, weil sie ja weder der Motion noch Deklination fähig sind. Den Participiis aber kommt beides zu. Überdieses sind die französischen Grammatiker auf meiner Seite, welche ihr eu, été, aimé, vendu u.d.g. Supina nennen, deren Gebrauch gerad so ist, wie meines Supini im Teutschen.

Gerade für die undeklinierbaren sogenannten „Partizipien II“ der echten intransitiven Verben, die keine „Mittelwörter“, sondern „Lagewörter“ sind, ist der Ausdruck „Supinum“ treffender als der Begriff „Partizip“.

https://www.google.de/books/edition/Schwäbisches_magazin_von_gelehrten_sach/LJIpAAAAYAAJ?hl=de&gbpv=1&dq=Supinum+Schwäbisches+Magazin+von+gelehrten+Sachen&pg=PA939&printsec=frontcover

Seiten 937 und folgende

https://de.wikipedia.org/wiki/Supinum

——————————————————

Das Dass (danke, Ricarda Vätzak) das mit der Unterscheidung Perfekt Aktiv und Präsens Zustandspassiv gar nicht so einfach ist, zeigt auch folgender Link:

https://www.lingexp.uni-tuebingen.de/sfb441/b18/Maienborn2007.pdf

2.2.Zustandspassiv ≠ sein-Perfekt

Zitat

Wir haben also bei Partizip II + sein-Konstruktionen mit Ambiguität** zu rechnen —

Zitatende

** in einer anderen Auflage steht hier stattdessen das Wort „Homonymie“

In diesem Aufsatz wird nicht zwischen „Supin/Supinum“ und „echtem“ Partizip, sondern zwischen „verbalem Partizip“ und „adjektivischem“ Partizip“ unterschieden.

Vereinfacht kann man meiner Meinung nach sagen:

Wenn man entscheiden kann, ob beim Satz

Die Rakete ist gerade gestartet.

ein verbales Partizip (——> Perfekt Aktiv)

oder ein adjektivisches Partizip (——> Präsens Zustandspassiv)

vorliegt, ist eine genaue Angabe der Zeitform möglich, kann man das nicht entscheiden (Ambiguität), ist eine Entscheidung über die richtige (eindeutige) Zeitform schwierig, da beides möglich wäre.

Das Resultativum:

Statt Aktiv (Perfekt) oder Zustandspassiv (Präsens) kann diese Konstruktion auch als Resultativum bezeichnet werden.

https://de.wikipedia.org/wiki/Resultativ#Resultativit%C3%A4t_im_Deutschen

Das würde für die Zeitform „Gegenwart“ sprechen.

Auch in der vollendeten Gegenwart steckt ein „Gegenwartsaspekt“ (ist gestartet). Das „gerade“ spricht ja auch ein wenig für „Gegenwart“.

 

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Viktor -- Mo, 11.12.2023, 14:46
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