korrekturen.de | Korrektorat und Lektorat

Rechtschreibforum

Bei Fragen zur deutschen Rechtschreibung, nach Duden richtigen Schreibweise, zu Grammatik oder Kommasetzung, Bedeutung oder Synonymen sind Sie hier richtig. Bevor Sie eine Frage stellen, nutzen Sie bitte die Suchfunktionen.

Re: Wie ist es richtig?

Autor:Jesse
Datum: Mi, 15.02.2017, 02:45
Antwort auf: Re: Wie ist es richtig? (Pumene)

> Ist diese Deine Annahme durch irgendetwas begründet?

Durch die Erfahrung, schon ein Dutzend wissenschaftliche Arbeiten von Freunden und Bekannten korrigiert zu haben. Natürlich kann man es aufgrund eines Satzes nicht sagen. Aber solche Sätze kommen selten allein und die Wahrscheinlichkeit, dass ein solcher Satz in einer ansonsten stilistisch makellosen Arbeit steht, ist nahe null. Und oft findet sich schon in einem Satz eine Vielzahl von Indizien für einen insgesamt schlechten sprachlichen Stil. So auch hier.

Der Satz beginnt mit "dies trifft zu". Bereits überhaupt die Verwendung von "dies". Das ist so ein Pronomen, das auch meistens im Rudel auftritt und seinen natürlichen Lebensraum in stilistisch schlechten Texten hat. Daneben verkompliziert die Satzeinleitung "dies trifft zu" meistens unnötig den Satzbau. Statt: Sie kann die Klausur unter Umständen wiederholen. Dies trifft zu, wenn ... Warum nicht einfach: Sie kann die Klausur wiederholen, wenn ... Der Grund ist meistens, dass die beiden Teile, die da verbunden werden sollen, für sich schon so aufgebläht sind, dass am Ende ein unverständlicher 50-Wörter-Satz entsteht. Dieses Symptom schlechten Stils bekämpft man dann, indem man zwei Sätze daraus macht und sowas wie "dies trifft zu" einfügt.

Aufgrund von Gründen. Da wird meistens mit einem Satzbaukastensystem gearbeitet, wo man nicht überlegt, wie man den Inhalt ausdrücken möchte, sondern wie man den Inhalt in seine Satzformulierung hinein presst. Das ist meistens recht deutlich, wenn man den Verfasser einen Satz vorher laut mündlich formulieren hört. Das sieht dann oft so aus: (Ohne zu überlegen:) Dies trifft zu, wenn ... (Pause) ... (erster Teil des Inhalts) ... (weiter ohne zu überlegen) aufgrund ... (Pause) ... – genau dabei kommt es zu "aufgrund von Gründen". Wer zuerst überlegt, was er überhaupt sagen will und wie, der kommt erst gar nicht darauf, aufgrund zu schreiben, weil er ja weiß, dass er von Gründen spricht.

Mindestens ein Grund. Eine Redundanz wegen Überkorrektheit. Wenn ich einen Katalog von 3 möglichen Voraussetzungen habe, dann gibt es nur die Möglichkeit, dass alle Voraussetzungen erfüllt sein müssen, oder es genügt eine. Wenn eine genügt, dann ist es nicht mindestens eine, sondern einfach eine. Niemand würde auf die Idee kommen, dass es plötzlich nicht mehr gilt, wenn zusätzlich eine zweite Voraussetzung gegeben ist. Im konkreten Fall wäre es selbst in einem Gesetzestext, wo es auf extrem präzise Wortwahl ankommt, redundant, mindestens zu sagen. Solche Überkorrektheiten tragen häufig dazu bei, dass wissenschaftliche Texte unnötig aufgebläht werden. Auch das ist etwas, was man in schlechten Texten sehr häufig und nicht nur punktuell findet. Im Beispielssatz übrigens auch gleich noch einmal, bei den "oben" (wo denn sonst?) genannten Gründen. Und selbst das genannt ist an und für redundant.

Das sind alles Dinge, die miteinander zusammenhängen und die man in schlechten wissenschaftlichen Texten durch die Bank findet. Wenn ein Student eine wissenschaftliche Arbeit schreibt, dann hat er in der Regel vorher nicht viel geschrieben, schon gar nichts Wissenschaftliches. Dann ist man anfällig dafür, besonders gehoben und wissenschaftlich schreiben zu wollen. Man versucht in einer Sprache zu schreiben, die man gar nicht spricht. Man versucht andere wissenschaftliche Texte zu imitieren. Dabei gibt es zwei Probleme. Zum einen ist ein Imitat immer schlechter als das Original und es wird noch einmal schlechter, wenn einem das Wissen fehlt, um zu verstehen, wie das Original zu Stande kam. Zum anderen ist das, was man imitiert, häufig selbst nicht gut. Wissenschaftler beschäftigen sich nun einmal mit ihrer Materie und nicht mit dem Schreiben. Inhaltlich sind sie Profis, sprachlich und stilistisch aber Amateure. Auf einen stilistisch guten wissenschaftlichen Zeitschriftenartikel kommen zwei schlechte und ein grauenvoller.

Das ist auch alles verständlich. Meine erste wissenschaftliche Arbeit als Student war sprachlich auch nicht gut (wenn auch nicht völlig grausam). Und ich hatte zu diesem Zeitpunkt schon drei Romane geschrieben und einen veröffentlicht. Man muss da seine Sprache für eine völlig neue Gattung wie eine wissenschaftliche Arbeit erst finden. Man hat aber nur die Chance auf ein gutes Ergebnis, wenn man in seiner eigenen Sprache schreibt und nicht versucht zu imitieren oder sich besonders gehoben auszudrücken. Nachdem ich wie gesagt einige solche Arbeiten korrigiert habe, erkenne ich das mittlerweile auch an einem (geeigneten) Satz.

 

antworten


Beiträge zu diesem Thema

Wie ist es richtig?
Lina -- Mo, 13.2.2017, 14:11
Re: Wie ist es richtig?
Pumene -- Mo, 13.2.2017, 16:13
Re: Wie ist es richtig?
Lina -- Mo, 13.2.2017, 17:20
Re: Wie ist es richtig?
Pumene -- Mo, 13.2.2017, 17:58
Re: Wie ist es richtig?
Jesse -- Mo, 13.2.2017, 23:52
Re: Wie ist es richtig?
Pumene -- Di, 14.2.2017, 08:37
Re: Wie ist es richtig?
Jesse -- Mi, 15.2.2017, 02:45
Re: Wie ist es richtig?
Kai -- Mi, 15.2.2017, 19:43
Re: Wie ist es richtig?
Jesse -- Do, 16.2.2017, 00:34
Re: Wie ist es richtig?
Kai -- Do, 16.2.2017, 12:16
Re: Wie ist es richtig?
Jesse -- Do, 16.2.2017, 22:53
Re: Wie ist es richtig?
Kai -- Do, 16.2.2017, 23:06
Re: Wie ist es richtig?
Jesse -- Fr, 17.2.2017, 00:50
Re: Wie ist es richtig?
Kai -- Fr, 17.2.2017, 08:56
Re: Wie ist es richtig?
Jesse -- Fr, 17.2.2017, 18:16
Re: Wie ist es richtig?
Kai -- Fr, 17.2.2017, 18:56
Re: Wie ist es richtig?
Jesse -- Fr, 17.2.2017, 23:43
Re: Wie ist es richtig?
Kai -- Sa, 18.2.2017, 10:32
Re: Wie ist es richtig?
Jesse -- Mo, 20.2.2017, 01:46