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Ja, was denn nun? Ich will damit eben andeuten, dass das ganze, wenn man sich wirklich damit befasst, nicht so einfach ist. Vor allem nicht so einfach, wie es für gewisse demagogen ist. «Eine gute verwirrung ist mehr wert als eine schlechte ordnung» (Ludwig Tieck), und die arbeit der erwähnten prof. dr. Elisabeth Leiss verwirrt auf erfrischende weise. Übrigens haben leider viele deutsche (vor allem in den nördlicheren breiten) eine panische angst vor verwirrung und verunsicherung; bei den schweizern ist das viel weniger der fall. Ohne verwirrung und verunsicherung gibt es aber, wie Tieck andeutet, keine wissenschaft und keinen fortschritt.
Vor allem lege ich wert auf die tatsache, dass sprache und schreibung sowohl fylogenetisch (sprachgeschichtlich) als auch ontogenetisch (im sprach-/schrifterwerb) unterschiedlich funktionieren.
Natürlich gibt es sprachliche normen. Mein arbeitgeber setzt mir eine norm, was und wie ich zu schreiben habe; dafür gibt er mir geld. Aber meinen arbeitgeber, eine grosse und angesehene firma, bei der ich freiwillig arbeite, gab es vor 1000 jahren noch nicht, und in 1000 jahren gibt es ihn vielleicht auch nicht mehr. Also ist das aus der sicht der sprache bedeutungslos. Sprachpflegevereine (ich bin inkonsequenterweise auch in einem) und stilratgeber sind eine gute sache, weil man sie im einzelfall zu rate ziehen kann - mehr nicht! Haben unsere altvorderen versagt, weil sie die althochdeutschen wörter muot zu mut und suntarzeichan zu sonderzeichen «verblöden» liessen? Und sollen und können wir etwas dagegen tun, wenn es irgendwann auch im deutschen (wie in afrikaans) heisst: die man, die frau, die kind? Es gibt keinen menschen und keine institution, die befugt oder fähig wären, darauf einfluss zu nehmen. Webster, duden usw. können gar nichts anderes tun, als dem volk aufs maul zu schauen.
Die rechtschreibung funktioniert anders. Sie ist ein menschliches werk mit nachvollziehbarer motivation und geschichte. Schrift ist das resultat einer analyse und einer bewussten setzung. Unsere buchstabenschrift ist eine von vielen möglichkeiten, aber sicher keine schlechte, weil sie nicht auf der bedeutung aufsetzt, sondern auf dem laut und damit auf einem schichtenmodell, wie es uns heute in der technischen kommunikation vertraut ist. Wir können also beurteilen, ob eine bestimmte schreibung im sinne des erfinders ist, und wir (d. h. die wissenschaft) sollten es auch tun, denn was nicht von selbst entstanden ist, soll auch nicht sich selbst überlassen werden. Natürlich muss das volk nicht annehmen, was die wissenschaft für richtig erachtet. Das gilt für mich privat, und das gilt für meinen arbeitgeber. Aber wie ist es mit der schule? Bei der religion ist es so, dass sie von den kindern aus dem elternhaus mitgebracht wird. Die schule darf darauf keinen einfluss nehmen, was bekanntlich in anbetracht der schulpflicht ziemlich heikel ist. Dagegen ist die schule bei der schreibung die eigentliche normsetzerin. Der schrifterwerb passiert dort. Die schüler haben auch keine wahl, nicht einmal in den höheren klassen, was eindeutig nicht in ordnung ist. Wenn die obligatorische schule nur 1 schreibform akzeptiert und lehrt, kann man verlangen, dass es eine optimale ist. Das, was die wissenschafter 1996 erarbeiteten, kommt dem näher als das, was «Bild» seinen alten lesern vorsetzt. Leider sieht es der laie Zehetmair umgekehrt, daher ist es nun faktisch «Bild», das die norm setzt.
Rolf Landolt