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Re: Plural oder Singular

Autor:Jesse
Datum: Do, 16.02.2017, 22:34
Antwort auf: Re: Plural oder Singular (Pumene)

> https://de.m.wikipedia.or/wiki/Nominativ#Der_Gleichsetzungsnominativ_.28Pr.C3.A4dikatsnominativ.29

"Der Gleichsetzungsnominativ wird unterschiedlich bezeichnet. (...) Auch gebräuchlich ist der Ausdruck ‘Subjektprädikativum' oder ‘Nominativobjekt‘."

Hast du da nicht "Zweifel an der Kompetenz" deines Links bekommen? ;)

> So könnte der Satz aber lauten.

Tut er aber nicht. Das ist das Problem bei vielen Proben, bei denen man umformuliert. Bei dieser Probe hat man die Wahl des Verbs. Du hast gelten genommen. Das beeinflusst das Ergebnis. Warum nicht: "Das Ziel stellt sich als Beobachten und Dokumentieren dar"? Das klingt vielleicht schlechter, darauf kommt es bei einer Probe aber nicht an.

Häufiger in diesen Fällen wird die Infinitivprobe gemacht, wie sie die Duden-Grammatik z.B. vertritt. Die hat gegenüber deiner Probe den Vorteil, dass sie ohne ein hinzugefügtes Wort auskommt, das im Belieben des Anwenders liegt und damit das Ergebnis verfälscht. Bei der Infinitivprobe wird den beiden fraglichen Substantiven (bzw. den ganzen Fügungen) das Verb im Infinitiv angefügt. Um die Eindeutigkeit dieser Probe zu illustrieren, verwendet man dann einen Satz wie: "Anton ist ein guter Mensch." Anton sein. Ein guter Mensch sein. Ganz eindeutig: "Ein guter Mensch sein" klingt gut. "Anton sein" dagegen ergibt überhaupt keine Sinn. Aber simples Gegenbeispiel: Wer ist er? Er ist Anton. Und auf einmal ist das im Schulbeispiel so eindeutig falsche "Anton sein" plötzlich richtig.

Das ist das Problem bei dieser Probe. Sie suggeriert häufig eine falsche Eindeutigkeit. Nur weil etwas auf den ersten Blick komisch klingt, wie im Schulbeispiel "Anton sein", heißt das noch lange nicht, dass es falsch ist und kein Prädikat bilden kann.

Die Infinitivprobe ist nicht falsch. Sie ist nur gefährlich, weil sie schnell zu einem falschen Ergebnis verleitet, wenn man sich die beiden Infinitive dann abstrakt anschaut. In unserem Satz auch. "Das Ziel der Arbeit sein" klingt irgendwie für sich erstmal naheliegender als "das Beobachten und Dokumentieren sein". Den trügerischen Schnellschluss kann man aber vermeiden, indem man die Ergebnisse seiner Infinitivprobe in den tatsächlichen Satz einbaut. Dazu muss man nur ein Modalverb verwenden. Soll oder kann z.B. – das kann man sogar noch zusätzlich verstärken z.B. "kann nur ... sein". Anton kann nur ein guter Mensch sein. Nicht: Ein guter Mensch kann nur Anton sein. Wer ist er? Er kann nur Anton sein. Nicht: Anton kann nur er sein. Oder eben hier: Das Ziel der Arbeit kann nur das Beobachten und Dokumentieren sein. Wohl auch: Das Beobachten und Dokumentieren kann nur Ziel der Arbeit sein.

Mit dieser Modifikation der Infinitivprobe kommt man deutlich wahrscheinlicher auf das richtige Ergebnis als nur bei einem abstrakten Vergleich. Was Gegenstand (Subjekt) und Aussage (Prädikat) des Satzes ist, kann man nur am konkreten Satz bestimmen und nicht abstrakt. Die Modifikation zwingt einen dazu, den Satz bei der Probe nicht zu vergessen.

Am Ende ist das Subjekt immer der Gegenstand und das Prädikat die Aussage. Das ist das Entscheidende. Über was soll hier eine Aussage getroffen werden? In unserem Beispiel ist das naheliegenderweise eher das Ziel der Arbeit. Wahrscheinlich steht über dem gesamten Absatz in Fettdruck als Überschift "Ziel der Arbeit".

Ausgehend davon, dass, wenn bei zwei im Nominativ stehenden Subjekten eines mit bestimmtem und eines mit unbestimmtem Artikel steht, das mit bestimmtem Artikel regelmäßig das Subjekt ist, kann man daraus auch noch eine weitere Probe ableiten. Bei zwei zunächst gleich bestimmten Subjekten bestimmt man eines durch einen alternativen Artikel mehr bzw. weniger. Angewandt auf unseren Satz: Ein Ziel der Arbeit ist das Beobachten und Dokumentieren. Das Ziel der Arbeit ist ein [umfangreiches] Beobachten und Dokumentieren. Das spricht auch für "das Ziel der Arbeit" als Subjekt.

Zu Letzterem (und allgemein dazu, dass es häufig keine eindeutige Lösung gibt und man nur mit Indizien arbeiten kann) will ich zum Abschluss noch den bekannten Germanisten Prof. Klaus Welke zitieren:

Als Substantiv steht das Subjektsprädikativ wie das substantivische Subjekt im Nominativ. Es wird auch Gleichsetzungsnominativ genannt.
Wie bei der Subjekt-Objekt-Differenz sind wir (und der Hörer/Leser) auf bestimmte Indizien angewiesen – mit der bequemen Folge, dass keine Lösung als kategorisch falsch angestrichen werden kann.

Die vorangestellte NominativNP [Nominalphrase] ist typischerweise das Subjekt. Ein anderes Indiz resultiert aus der Default-Qualität des Subjekts als Thema des Satzes. Thema ist der Gegenstand, über den der Sprecher reden will. Ein Sprecher wird normalerweise vom Bekannten ausgehen. Das Thema als Gegenstand der Mitteilung ist in der Regel also auch das Bekannte (...). Wenn einer der beiden DP [Determinatorphrasen] definit ist (z.B. mit definitem Artikel steht) und die andere indefinit (z.B. mit indefinitem Artikel steht), so gilt per default: Die definitite DP ist das Subjekt und die indefinite das Subjektsprädikativ.

Klaus Welke: Einführung in die Satzanalyse: Die Bestimmung von Satzgliedern im Deutschen; S. 141f. (Hervorhebung durch mich.)

 

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