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Perfekt in Bewerbungen: warum nicht?

Autor:christian82
Datum: Mi, 05.12.2012, 10:32
Antwort auf: Re: Präteritum und Perfekt (Kai)

Sorry, dass ich dieses alte Thema hervorhole, aber meiner Ansicht nach ist die Schlussfolgerung nicht korrekt.

Das Beispiel zum Gebrauch vom Perfekt in einem Unfallbericht halte ich für unangebracht, denn die beschriebenen Vorgänge (fahren & Vorfahrt nehmen) haben keine Auswirkung auf die Gegenwart. Der Bezug zur Gegenwart ist indirekt und wird vom Leser hergestellt, weil er sich die Konsequenzen anderer, daraus resultierender Vorgänge vorstellt - z.B. dass sich ein Fußgänger "verletzt hat".

Die Regel "Präteritum geschrieben, Perfekt geredet" kommt aus dem Süden und ist für mich als Norddeutscher und oft Englisch-schreibender eher verwirrend. Zumal diese Regel ständig von der alltäglichen Presse & Werbung gebrochen wird - und das aus gutem Grund.
Ein Beispiel wäre die Zeitungsüberschrift: "Reichstag brannte ab!". Grammatikalisch nicht falsch, aber so titelt natürlich keine Tageszeitung, denn wen interessiert der gestrige Vorgang des Abbrennens? Wichtig für den Leser ist das gegenwärtige Resultat des Abbrennens, und so titelten die Zeitungen: "Reichstag ist abgebrannt!". Bumm - hier sieht man die Konsequenz des Abbrennens deutlich vor Augen. Das Verb "Abbrennen" führt zu einer Statusveränderung, und dieser veränderte Status (hier: des Reichstags) wird -auch in heutigen Zeitungsmeldungen- mit dem Perfekt angezeigt.

Vorweg: ich bin weder Personaler noch Sprachwissenschaftler! Bezogen auf ein Bewerbungsanschreiben sehe ich aber durchaus gute Verwendungsmöglichkeiten für das Perfekt. Sogar ein Mischmasch wäre demnach möglich, Beispiel: "Ich nahm an einer Konferenz über XXX teil und habe dort mein Wissen über YYY erweitert."
Klar, die Konferenz war in der Vergangenheit, aber der Wissens-Erweiterungsvorgang hat Spuren hinterlassen, die bis heute sichtbar sind.

Zur psychologischen Wirkung: Wäre der zweite Teil im Präteritum formuliert ("...und erweiterte dort mein Wissen über YYY"), würde sich mir sofort vermitteln: "Schön, er bekam etwas auf der Konferenz mit - das ist ja irgendwie zwangsläufig so, außer man schläft auf dem Konferenzgelände. Aber hat er auch dauerhaft seinen Wissensschatz erweitert, sodass er dieses Wissen heute einsetzen kann? Oder ist dieses auf der Konferenz erworbene Wissen ab ins Kurzzeitgedächtnis gewandert und nun wieder weg?" Die Statusveränderung des Wissensschatzes ist nicht dargelegt, womit die Relevanz des Konferenzbesuches für die ausgeschriebene Stelle nicht eindeutig erkennbar ist. Die Präteritum-Formulierung wirkt eher wie die Ausschmückung einer Station des Lebenslaufes.
Wäre ich ein Personaler, würde ich einem Kandidaten mit Perfekt-Formulierung den Vorzug geben.

Als Untermauerung dieses Arguments sehe ich eine Werbeanzeige im Internet (= Produkt-Bewerbung), die ich vor kurzem las: "Herr Oßke hat sich seinen Traum erfüllt. Das können Sie auch!". Man mag argumentieren, dass das Perfekt einfach geläufiger klingt als Präteritum und deshalb genutzt wurde. Wie aber würde das Präteritum klingen: "Herr Oßke erfüllte sich seinen Traum. Das können Sie auch!"
Ich -als werbeskeptischer Norddeutscher- würde denken, dass sich der Traum mittlerweile wohl schon wieder aufgelöst hat, z.B. weil die anschließenden Ratenzahlungen so horrend sind. Der darauf folgende Satz wirkt dann besonders albern: Natürlich kann auch ich mir Träume erfüllen, die kurz danach zusammenfallen - aber da wäre ich ja schön blöd. Man kann davon ausgehen, dass die studierten Werbefuzzis genau diese Wirkung des Präteritums kennen und deshalb das Perfekt nutzen. Hier ist der Traum von Herrn Oßke noch gegenwärtig.

Beste Grüße,
Christian

sprachwissenschaftliche Quelle: http://www.belleslettres.eu/artikel/prateritum-imperfekt-perfekt.php

 

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