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Rezensionen

KLUGE – Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache (2011)

KLUGE Etymologisches Wörterbuch 2011Nahezu 10 Jahre hat man auf eine neue Auflage des bekannten Etymologie-Wörterbuchs KLUGE warten müssen, nun liegt sie vor. Augenfälligste Neuerung des gegenüber der Ausgabe von 2002 (Besprechung siehe hier) deutlich erweiterten und aktualisierten Standardwerks: Die Orthografie wurde nunmehr den aktuellen Regeln der neuen Rechtschreibung angeglichen.

Es gibt nur wenig Herausgeber von Wörterbüchern, deren Werke eine so starke Geltung erlangt haben, dass sie landläufig nach dem Nachnamen des Begründers benannt werden: Konrad Duden ist hier zu nennen, Gerhard Wahrig und einige andere. Auch Friedrich Kluge gehört zu diesem illustren Kreis; sein Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache wird zumeist knapp als »der Kluge« bezeichnet – weshalb auch der herausgebende Verlag De Gruyter seit langem KLUGE in Großbuchstaben als Haupttitel kommuniziert. Friedrich Kluge (1856–1926) lehrte Ende des 19. Jh.s als Professor der Germanistik an den Universitäten Jena und Freiburg und machte sich nicht nur durch die Herausgabe des vorliegenden Wörterbuchs (1883) verdient, sondern auch durch seine intensive Erforschung von Spezialsprachen wie der Gaunersprache Rotwelsch, des Seemannsdeutsch oder der Studentensprache.

Eine ganze Reihe an Lemmata wurde neu ins Werk aufgenommen, wobei häufig schon dunkel vorhandenes Wissen zu einem Wort präzisiert wurde: So ist etwa allgemein bekannt, dass die Bezeichnung Bismarckhering mit dem Reichskanzler Otto von Bismarck in Verbindung steht, doch wie kam das genau? Der KLUGE erklärt es: »Der Stralsunder Fischkonservenhersteller Johann Wiechmann führte als Spezialität entgrätete marinierte Ostseeheringe, die er auch Otto von Bismarck zusandte. Da dieser sich lobend äußerte, bat ihn Wiechmann bei einer weiteren Zusendung 1871 seine Heringe Bismarckheringe nennen zu dürfen, was ihm gewährt wurde.«

Auch und gerade diese anekdotischen Ausflüge sind es, welche den KLUGE über den Rang eines nüchternen Nachschlagewerks hinausheben und ihn zur vergnüglichen Sonntagnachmittagslektüre machen. Denn gerne blättert man weiter, lässt sich freudig ein auf eine spannende Reise nach dem Ursprung längst vergessener Wortbedeutungen und -herkünfte. So war Idiot einst keineswegs eine Beleidigung, sondern bezeichnete den Einzelnen gegenüber dem Staat, aber auch den Laien gegenüber dem Fachmann. Dieser ursprünglichen Bedeutung folgend wird auch heute noch ein Mundartwörterbuch als Idiotikon bezeichnet.

Besonders spannend wird es aufgrund der Aktualisierung in neuer Rechtschreibung dort, wo ebendiese etymologische Herleitungen verfälscht oder verschleiert. So heißt es über den Tollpatsch (frühere Schreibung: Tolpatsch) diplomatisch: »Von den Sprechern wohl mit Tölpel und patschen in Verbindung gebracht.« Neben dieser lt. Kluge »sekundären Motivation« lässt sich jedoch natürlich auch der tatsächliche Ursprung nachlesen: »Älter (17. Jh.) ist die Bezeichnung ‚ungarischer Fußsoldat‘ (ung. talpas, eigentlich ‚breitfüßig‘, zu ung. talp ‚Sohle‘, da die Soldaten statt Schuhen mit Schnüren befestigte Sohlen trugen).«

Zu Recht sehr heftig kritisiert werden auch die beiden Reformschreibungen »Zierrat« und »einbläuen« für Zierat und einbleuen – Ersteres hat nichts mit »Rat« wie in »Hausrat«, zu tun, sondern ist ein Abstraktum zum mittelhochdeutschen Adjektiv »zier«, ähnlich wie Armut aus »arm« entstanden ist. Um eine Analogie zu ziehen: Nur ein Narr käme auf die Idee, eine Schreibweise »Armmut« aus »arm« und »Mut« zu konstruieren. Und Letzteres hat nichts mit »blau einfärben« zu tun, sondern geht auf das mhd. bliuwen = bleuen = schlagen zurück – neben einbleuen (neu: »einbläuen«) hat sich auch noch verbleuen (neu: »verbläuen«) im deutschen Wortschatz gehalten. Hier ist dem KLUGE hoch anzurechnen, dass er den offenkundigen Quatsch der Reformer schlichtweg ignoriert: Während man bei »bläuen« einen Verweis auf bleuen mitsamt den abgeleiteten Formen findet, ist »Zierrat« nur in der bisherigen Schreibung Zierat verzeichnet.

Wer sich für die Etymologie von Wörtern interessiert, für den ist der neue KLUGE eine Pflichtanschaffung. Doch auch, wer nur hin und wieder an der Herkunft und Bedeutungsgeschichte bestimmter Begriffe interessiert ist, wird an dem frisch renovierten Klassiker seine Freude haben.

Friedrich Kluge
Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache
25., aktualisierte und erweiterte Auflage 2011
Gebunden, 1021 Seiten
De Gruyter (Produktseite)
ISBN 3-11-022364-4


Julian von Heyl am 30.10.11 | Kommentare (2) | Visits: 20136

Rubrik Rezensionen:

Welches Wörterbuch bietet den besten Mehrwert, welche lexikalische Software sollte man in jedem Fall auf seinem Computer haben? Hier finden Sie einige Besprechungen ausgewählter Fachliteratur.

Kommentare

1  H. Camphausen

"Friedrich Kluge (1856–1926) lehrte Ende des 20. Jh.s als Professor der Germanistik an den Universitäten Jena und Freiburg ..."

Erstaunlich. Offenbar war der Mann seiner Zeit weit voraus.


Hihi + mfg,
H. Camphausen

Geschrieben von H. Camphausen am 08.11.13 00:57

2  Julian von Heyl

Er war eben ein fortschrittlicher Geist. ;) Vielen Dank, ich habe seine Lehrtätigkeit jetzt 100 Jahre zurückversetzt.

Geschrieben von Julian von Heyl am 08.11.13 01:13

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