Nachgefragt
sich auf etwas fokussieren
Fokussiert man etwas oder fokussiert man sich auf etwas? Kann man sich denn überhaupt selbst fokussieren? Wir bringen Licht in die Anwendung des Ausdrucks »fokussieren«.
Frage:
Das Verb fokussieren wird längst nicht mehr nur in der Physik oder in der Fotografie verwendet, sondern allgemeinsprachlich überall dort, wo ausgedrückt werden soll, dass auf etwas der Fokus (im Sinne von: der Schwerpunkt) gelegt wird. Aber wie verwendet man den Ausdruck richtig?
- Wir müssen die Probleme fokussieren.
- Wir müssen auf die Probleme fokussieren.
- Wir müssen uns auf die Probleme fokussieren.
Speziell bei der letzten Variante wird oft kritisiert, dass eine reflexive Form unsinnig sei – da nur Objekte fokussiert werden könnten – und hier wohl eine Vermischung mit »sich auf etwas konzentrieren« vorliegt. Es würde mich interessieren, wie Sie die oben genannten Varianten grammatisch und inhaltlich abgrenzen und welche Variante Sie bevorzugen würden.
Julian von Heyl, korrekturen.de
Antwort:
Der heute gängige, nicht naturwissenschaftlich-technische Sprachgebrauch kennt im Wesentlichen drei Verwendungsweisen von »fokussieren«, die über den semantischen Kern »in den Fokus nehmen« in den beiden ersten Beispielen als neuere Synonyme für bestimmte Lesarten von »konzentrieren« angesehen werden können:
- Wir fokussieren unsere Anstrengungen auf die wichtigsten Probleme.
- Wir fokussieren uns auf die wichtigsten Probleme.
- Wir fokussieren die wichtigsten Probleme.
Das dritte Beispiel zeigt in der Verbvalenz (Anschluss mit einfachem Akkusativ) noch eine größere Nähe zum fachsprachlichen Gebrauch des Wortes; es gibt aber kein Gesetz, nach dem dies grundsätzlich so sein müsse.
Gerade im Verlauf der sprachgeschichtlichen Herausbildung von Mehrdeutigkeiten werden Eigenschaften der ursprünglichen Verwendung häufig abgestoßen oder modifiziert. Wir dürften zum Beispiel streng etymologisch gesehen nicht von einer »Wand« sprechen, wenn diese aus Steinen oder Beton besteht, denn das Wort ist von »winden« abgeleitet und bezeichnete zunächst nur die miteinander verwundenen Zweige, aus denen in vorrömischer Zeit die Germanen ihre Hauswände bauten.
Dr. Werner Scholze-Stubenrecht, Leiter der Dudenredaktion
Julian von Heyl am 21.06.13 | Kommentare (3) | Visits: 1071
Rubrik Nachgefragt: Auch die Fachliteratur hilft nicht mehr weiter? Wir haben nachgefragt und kompetente Antwort erhalten: Die Dudenredaktion klärt für uns grammatische und orthografische Zweifelsfälle der deutschen Sprache. Unser Tipp: Schnelle Telefonauskunft erhalten Sie bei der Duden-Sprachberatung. |
Kommentare
1 Anne
Gut zu wissen! Ich habe gestern erst drüber nachgedacht, weil mir das Verb - in der reflexiven Form benutzt - falsch vorkam.
Geschrieben von Anne am 21.06.13 14:56
2 Joachim
In meinem Sprachgebrauch finde ich nur zwei sinnvolle Anwendungen für "Fokussieren", das wohl etwa soviel bedeutet wie bündeln und "in konzentrierter Form" auf einen Punkt lenken, sozusagen "Streuverluste" vermeiden, die gesamte Energie wird auf das Ziel gerichtet.
Lichtstrahlen, Gedanken, Anstrengungen sind Beispiele für das, was fokussiert wird.
Mich selbst auf irgendetwas (z.B. ein Problem) zu fokussieren, stelle ich mir somit als sehr schmerzhaft vor. Deswegen halte ich diese Variante für wenigstens ungeeignet, wenn nicht sogar für falsch, auch wenn sie erlaubt sein sollte.
Meine zweite Anwendung: Eine Sache (z.B. ein Problem, eine Pflicht) wird von mir fokussiert, d.h. in den Fokus gerückt. Sie wird also dorthin verschoben, wo meine "geballte Energie" auftrifft. Mit dieser Hilfsvorstellung vermeide ich das Entstehen von Ausdrücken wie z.B. "Anfokussieren".
"In den Fokus nehmen/rücken" ist stärker als "Ins Visier nehmen", da das Letztere nicht die Bündelung der Energie ausdrückt. "Anvisieren" ist im Gegensatz zu "Anfokussieren" vielleicht auch aus diesem Grund üblich. "Anvisieren" bezieht sich auf das Ziel, "Fokussieren" auf die Sache (z.B. Strahlen, Anstrengungen), die auf das Ziel gerichtet wird.
Mit "Wir müssen uns auf das Problem fokussieren" komme ich einfach nicht zurecht. Da wird es mir dann doch zu eng.
Geschrieben von Joachim am 24.09.13 18:54
3 Johannes
Scholze-Stubenrecht hat die Frage nicht beantwortet. Wenn denn anything goes, sagt man das besser auch so.
Nach meinem Eindruck liegt allerdings ein Missverständnis vor: fokussiert wird ein (Licht)strahl auf ein Objekt. Der Lichtstrahl wird so gebündelt, dass das Objekt im Fokus liegt - an dem Punkt, an dem die Strahlen konvergieren und das Objekt scharf erscheint. Ein Objektiv wird zB auf das Gesicht der Hauptfigur fokussiert.
Wir dieses Modewort so verstanden, sind nur die Formulierungen "Wir müssen auf die Probleme fokussieren" und "Wir müssen uns auf die Probleme fokussieren". In der zweiten Variante fokussieren wir uns selbst wie ein Objektiv; wir fokussieren unsere Aufmerksamkeit. Durchaus denkbar.
Falsch - und in meinen Ohren auch schmerzhaft - ist es, das "auf" wegzulassen.
Geschrieben von Johannes am 03.03.14 13:57
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