korrekturen.de | Portal für Rechtschreibung

Nachgefragt

Zornesröte und Schamesröte

Nicht immer können wir unsere Gefühle gut verbergen, was sich auch in einem Erröten der Gesichtshaut manifestieren kann. Während im Englischen je nach Anlass kurz und knackig zwischen Flush (Erröten aufgrund von Ärger oder Wut) und Blush (Erröten aufgrund von Verlegenheit oder Scham) unterschieden wird, kennen wir im Deutschen die Zornesröte und die … nun ja, Schamröte oder Schamesröte?

Frage:
Mir ist aufgefallen, dass der Duden zwar sowohl die Zornesröte (als Hauptform) als auch die Zornröte (als Nebenform) verzeichnet hat, aber lediglich die Schamröte aufführt. Nun scheint mir aber die Schreibweise Schamesröte ebenfalls sehr verbreitet zu sein, wobei dahingestellt sei, ob es sich um eine Analogiebildung zu Zornesröte handelt. Vor allem mit Blick auf die Wendung, dass etwas jemandem »die Zornesröte / Schamesröte ins Gesicht treibt«, liegt diese Vermutung nahe.

Meine Frage ist nun, ob die Schreibweise Schamesröte, obgleich nicht im Duden verzeichnet, als korrekt anzusehen ist. Die gleiche Frage stellt sich mir mit Blick auf die hin und wieder zu sehenden Schreibvarianten zornesrot und schamesrot zu den Adjektiven zornrot und schamrot.
Julian von Heyl, korrekturen.de

Antwort:
Wenn zwei Wörter zu einem neuen Wort zusammengesetzt werden (z. B. Scham + Röte), führt die Nahtstelle hin und wieder zu Unsicherheit. An diese Stelle können verschiedene Fugenelemente treten. Bei Substantiven sind das -e-, -s-, -es-, -n-, -en-, -er- und -ens-. Historisch sind diese Bindeglieder auf Flexionsendungen zurückzuführen, das trifft aber nicht bei jedem Einsatz von Fugen zu (z. B. Liebe-s-brief oder Schönheit-s-ideal). Heute erleichtern die Fugenelemente in erster Linie die Aussprache. Dafür ist Schamesröte ein gutes Beispiel.

Es gibt Wörter, bei denen ein eingefügtes Fugenelement notwendig ist (z. B. Freiheit-s-drang). Bei anderen Wörtern ist ein Fugenelement nicht möglich (z. B. Haustür). Es gibt darüber hinaus zusammengesetzte Wörter, die mit verschiedenen Bindegliedern verfugt werden können (z. B. Rind-er-braten / Rind-s-braten). Spannend wird es bei den Wörtern, die sowohl mit als auch ohne ein Fugenelement vorkommen können. Dazu gehört die Scham[es]röte genauso wie die Zorn[es]röte. Hier sind sowohl die Variante mit als auch die ohne Fugenelement korrekt. Das Gleiche gilt für die Adjektive, die aus diesen Substantiven abgeleitet werden können: zorn[es]rot, scham[es]rot.

Damit, die Schamesröte tatsächlich in unsere Wörterbücher aufzunehmen, waren wir bisher zurückhaltend, denn es liegt hier ein besonderer Fall vor: Die -es-Fuge tritt typischerweise bei Erstbestandteilen auf, die Maskulina (Bund-es-liga, Tag-es-mutter) oder Neutra (Jahr-es-zeit, Meer-es-früchte) sind. Die Scham ist Femininum. Die Idee, dass hier die Zornesröte Vorbildcharakter hat, ist nicht von der Hand zu weisen. Ein weiterer Grund für den Wunsch nach einer Fuge könnte sein, dass Scham ein einsilbiges Wort ist und -es- eine Silbe ergänzt. Damit hat Schamesröte die im Deutschen bevorzugte Mehrsilbigkeit mit dem Muster betont – unbetont.

In der Dudenredaktion machen wir die Entscheidung, ob ein Wort oder eine Variante in unseren Wörterbüchern gezeigt wird, neben solchen systematischen Überlegungen von der Häufigkeit ihrer Verwendung abhängig. Wir analysieren dafür große Mengen von Sprachdaten, um den aktuellen Stand der Sprachverwendung zeigen zu können, und passen unsere Angaben entsprechend an. Daher zeigen wir nicht immer alle Varianten, die denkbar und möglich sind. Die Zornesröte ist interessanterweise um einiges häufiger zu finden als die Schamesröte. Vielleicht ist die Schamesröte ja im Kommen. Wir beobachten die Entwicklung weiter mit Spannung.
Dr. Laura Neuhaus, Dudenredaktion

Julian von Heyl am 08.05.20 | Kommentare (5) | Visits: 23023

Rubrik Nachgefragt:

Auch die Fachliteratur hilft nicht mehr weiter? Wir haben nachgefragt und kompetente Antwort erhalten: Die Dudenredaktion klärt für uns grammatische und orthografische Zweifelsfälle der deutschen Sprache. Unser Tipp: Schnelle Telefonauskunft erhalten Sie bei der Duden-Sprachberatung.

Kommentare

1  Mika

Mir war bisher nur die Schamesröte geläufig. (Auch wenn das wenig Aussagekraft hat: Schamesröte hat im Vergleich zu Schamröte auf Google 50 Prozent mehr Treffer.)

Geschrieben von Mika am 08.05.20 14:27

2  Udo

Ich bedanke mich bei Mika für die Idee mit Google! Sehr anschaulich. Bei mir sind es aber ca. 20% mehr Treffer.
Trotzdem guter Vergleich!

Geschrieben von Udo am 08.05.20 14:33

3  Julian von Heyl

Noch etwas eleganter geht es mit dem Ngram Viewer von Google Books. Die »Schamesröte« legt eindeutig zu.

Geschrieben von Julian von Heyl am 08.05.20 14:45

4  Udo

Wobei das nur die geschriebenen Wörter beachtet.
Erfahrungshorizont:
Auch in meinem Umfeld kennt kaum noch jemand die Schamröte.

Geschrieben von Udo am 08.05.20 14:56

5  Mika

@Udo: Danke. Bei meiner Google-Suche: Schamesröte "ungefähr 72.900 Ergebnisse", Schamröte "ungefähr 42.500 Ergebnisse". Also sogar >70% mehr. Bei Dir nur 20%?
Ich hab mir vor längerer Zeit mal bei einem sehr seltenen Wort mit ca. 100 Treffern die Mühe gemacht, alle Ergebnisse anzuschauen; die angeblich 100 Treffer waren in Wirklichkeit nur 20, weil 80% Mehrfachnennungen der exakt selben Webseiten waren. Daher sollte man auf diese Zahlen nicht viel geben.

Geschrieben von Mika am 08.05.20 21:31

Schreiben Sie einen Kommentar:

Kommentar

*

*

 Ja  Nein

 Bei Antworten auf meinen Kommentar benachrichtigen


Die mit einem * markierten Felder müssen ausgefüllt werden.
Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht!

Nutzen Sie bitte für Suchanfragen die Wörtersuche rechts oben im Kasten oder das obenstehende Google-Suchfeld. Mit der benutzerdefinierten Google-Suche wird die gesamte Website durchsucht.